Management

Zusammenarbeit von Polizei und Justizvollzug: Interview mit LKA-Leiter Mario Germano

28.11.2023 - Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz arbeitet an vielen Fronten: Dazu gehören derzeit etwa die Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität, die voranschreitende Digitalisierung von Kriminalität, der Einsatz künstlicher Intelligenz und der Wettbewerb auf dem Markt der Fachkräfte. Darüber und über die Zusammenarbeit von Polizei und Justizvollzug befragte Matthias Erler von GIT SICHERHEIT den Leiter des LKA Rheinland-Pfalz, Mario Germano.

GIT SICHERHEIT: Herr Germano, Sie sind seit April Chef des Landes­kriminalamtes Rheinland-Pfalz – und Ihre Vita ist beeindruckend: Sie waren vorher beim Bundeskriminalamt – dort im Mobilen Einsatzkommando und in der Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität. Sie waren unter anderem Geheimschutzbeauftragter und Leiter Interne Ermittlungen. Was hat Sie am neuen Job in Rheinland-Pfalz gereizt?

Mario Germano:
Die Arbeit in der Polizei war mein absoluter Wunschberuf. Daran hat sich auch nach 30 Dienstjahren nichts geändert. Ich würde rückblickend immer wieder den Polizeiberuf ergreifen. Hierbei sage ich bewusst „Polizei“, da ich mich immer als Teil der gesamten deutschen Polizei gesehen habe. Dabei spielt es aus meiner Sicht erst einmal eine untergeordnete Rolle, ob man im Bund oder im Land tätig ist, ob man Uniform trägt oder nicht oder ob man Vollzugsbeamter ist oder nicht. Wir alle sind Polizei. Ich habe früh für mich erkannt, dass ich mit Herzblut bei der Sache bin und zudem gerne gestalten möchte sowie bereit bin, Verantwortung zu übernehmen. Das war auch mein Antrieb, in den höheren Dienst aufzusteigen. Der Spaß am Gestalten ist bis heute geblieben und daher war es für mich nur folgerichtig, die außergewöhnliche Gelegenheit zu nutzen, und mich mit Blick auf meine bisherige Berufserfahrung für die Leitung einer Polizeibehörde zu bewerben. In meiner neuen Rolle habe ich die Gelegenheit, die Strategien und Taktiken, die ich im Laufe meiner Karriere entwickelt habe, auf einer größeren Bühne anzuwenden und dabei zu helfen, das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz zu einer noch effektiveren und reaktionsschnelleren Organisation zu machen. Ich freue mich darauf, meine Erfahrungen und Kenntnisse einzubringen, um die Herausforderungen der modernen Kriminalitätsbekämpfung anzugehen und gleichzeitig die hohen Standards des Dienstes aufrechtzuerhalten, für die das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz bekannt ist.


Die ersten hundert Tage im neuen Job haben Sie längst hinter sich – könnten Sie uns eine erste Bilanz skizzieren?

Mario Germano:
In meinen ersten hundert Tagen in der neuen Position habe ich eine Behörde mit einem breiten Aufgabenspektrum und sehr engagierten Mitarbeitern vorgefunden. Es war mir ein Anliegen, schnell in der Behörde anzukommen und mir einen umfassenden Überblick zu verschaffen. Zu Beginn lag mein Fokus darauf, die Menschen kennenzulernen, mit denen ich nun zusammenarbeite. Dies war ein entscheidender Schritt, um ein Verständnis für die Dynamik und Kultur der Organisation zu entwickeln. Im Anschluss habe ich mich auf die spezifischen Aspekte der Behörde konzentriert: Wo stehen wir aktuell? Welche Herausforderungen stehen uns bevor? Wie sind wir aufgestellt und ausgestattet, um diesen Herausforderungen zu begegnen? Es wurde schnell klar, dass Themen wie „Personalgewinnung”, „Digitalisierung”, „demographischer Wandel” und „Verlagerung der Kriminalität ins Netz” von zentraler Bedeutung sind. Diese Themen sind nicht nur für unsere Behörde, sondern für die gesamte Polizei von großer Relevanz. Neben diesen Schlüsselthemen gibt es natürlich noch eine Vielzahl weiterer Themen, die uns täglich beschäftigen und unsere Arbeit prägen. Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit dem, was wir in den ersten hundert Tagen erreicht haben. Ich freue mich darauf, weiterhin eng mit meinem Team zusammenzuarbeiten und gemeinsam die Herausforderungen der modernen Polizeiarbeit zu meistern.


Was sind derzeit die wichtigsten Projekte Ihres Hauses – und wo liegen Ihre persönlichen Ziele und Schwerpunkte?

Mario Germano:
Ich möchte das LKA Rheinland-Pfalz als eine moderne und leistungsfähige Behörde weiterentwickeln. Die derzeit wichtigsten Projekte unseres Hauses konzentrieren sich auf die Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität und die Herausforderungen, die sich aus der rasant voranschreitenden Digitalisierung von Kriminalität ergeben. Dieser Trend wird sich in vielen Kriminalitätsfeldern fortsetzen, sei es im Betrugsbereich, bei der Verbreitung von Hass und Hetze im Netz oder bei Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder, um nur einige Beispiele zu nennen. Unsere Hauptaufgabe wird es sein, technisch Schritt zu halten, um erfolgreiche Täterermittlungen durchzuführen und diese konsequent zu verfolgen. Dabei spielt die Ausstattung eine ebenso wichtige Rolle wie die Fort- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter. Insbesondere die digitalen Kompetenzen unserer Mitarbeiter werden immer wichtiger, nicht zuletzt bei der Personalgewinnung. Wir treten in einem umkämpften Markt immer mehr in direkte Konkurrenz zu anderen Behörden und der freien Wirtschaft. Daher müssen wir uns fragen: Wie können wir die Attraktivität unserer Behörde halten oder sogar steigern? Ein weiteres wichtiges Thema ist die künstliche Intelligenz, insbesondere im Hinblick auf die riesigen Datenmengen, denen wir im polizeilichen Alltag begegnen. Dies erfordert eine intensivere Betrachtung. Ich möchte sicherstellen, dass wir den Herausforderungen der modernen Kriminalitätsbekämpfung gewachsen sind und gleichzeitig ein attraktiver Arbeitgeber bleiben.


Herr Germano, wir möchten heute ja gewissermaßen ein Spezialthema näher umkreisen, nämlich die Zusammenarbeit von Polizei und Justizvollzug. Hier berühren sich zwei verschiedene Prinzipien der Gewaltenteilung, nämlich Exekutive und Judikative. Sie ermitteln und verhaften – die anderen verurteilen und bestrafen. Wie sehen Sie generell das Verhältnis zwischen diesen beiden Welten?

Mario Germano:
Diese beiden Welten sind bei klarer Aufgabenabgrenzung untrennbar miteinander verbunden. Erst die enge Kooperation der Exekutive und Judikative ermöglicht eine effiziente und gerechte Durchsetzung von Gesetzen, stärkt die Rechtsstaatlichkeit und fördert so das notwendige Vertrauen in das Justizsystem. Der Strafvollzug bildet dabei einen essenziellen Baustein des rechtlichen Systems, indem er dazu beiträgt, Urteile und Strafen, die aus Ermittlungen resultieren, umzusetzen. Eine auf das Urteil folgende enge Zusammenarbeit zwischen dem Strafvollzug als Teil der Judikative und der Polizei als Exekutive ermöglicht und unterstützt die angestrebte effektive Rehabilitation von Straftätern. Die Zielrichtung ist klar: Rückfallwahrscheinlichkeiten sollen gesenkt und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft gefördert werden.


Es gibt ja Fälle, in denen die Polizei auch in einer Haftanstalt konkrete Sicherheits- und Bewachungs­aufgaben übernimmt? Was sind das für Fälle?

Mario Germano:
Ja, es gibt Fälle, in denen die Polizei auch in einer Haftanstalt konkrete Sicherheits- und Bewachungsaufgaben übernimmt. Dies kann beispielsweise bei hohem Sicherheitsrisiko oder bei besonderen Gefangenen der Fall sein, die eine erhöhte Fluchtgefahr darstellen oder eine Bedrohung für andere Insassen oder das Personal darstellen könnten. Sicherheits- und Bewachungsaufgaben innerhalb einer JVA werden grundsätzlich durch die Justiz gewährleistet. In Ausnahmefällen kann die Polizei im Wege der Amts- und Vollzugshilfe zum Einsatz kommen, also dann, wenn eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht ausreichend sind. Dies schließt auch die Besuchsüberwachung im Rahmen der Untersuchungshaft mit ein.


Der Gefangenentransport zum Gericht, bei Verlegungen etc. ist ja ebenfalls häufig Aufgabe der Polizei? Wie ist hier die Zusammenarbeit zwischen den Justizvollzugsanstalten und Polizeikräften organisiert? Immerhin sind beide Seiten ja behördlich und ministeriell strukturell voneinander getrennt?

Mario Germano:
Seitens der Polizei werden vorläufig festgenommene Personen von der Festnahmeörtlichkeit bzw. den Gewahrsamsräumlichkeiten zum zuständigen Haftrichter transportiert, welcher den Erlass bzw. das Inkrafttreten eines Untersuchungshaftbefehls entscheidet. Sofern die Untersuchungshaft durch den Haftrichter angeordnet wird, so wird der Beschuldigte in der Regel unmittelbar anschließend durch die Polizei vom zuständigen Gericht zur zuständigen JVA transportiert, wo er anschließend an die Justizvollzugsbeamten übergeben wird. Der Transport zwischen Haftanstalt und Gericht, beispielsweise zum Zwecke einer Hauptverhandlung, oder Verlegung des Gefangenen zwischen Justizvollzugsanstalten werden nicht durch die Polizei, sondern durch die Justizvollzugsanstalten und deren Beamten organisiert und durchgeführt.


Auch bei Straftaten bzw. der Ermittlung innerhalb von Haftanstalten kommen Sie in Ihrer normalen ­polizeilichen Rolle ins Spiel?

Mario Germano:
Jede Straftat innerhalb von JVAen wird über die örtlich und sachlich zuständige Polizeidienststelle der sachlich zuständigen Staatsanwaltschaft zugeleitet. Über Art und Umfang der durch die Polizei vorzunehmenden Ermittlungshandlungen befindet die sachleitende Staatsanwaltschaft.


Stichwort Ermittlung: Eine spektakuläre Entwicklung der jüngsten Zeit ist ein Drogenscanner, der mobil in Gefängnissen eingesetzt wird. Dies erfolgt in Zusammenarbeit zwischen Polizei und JVA – wie ist hier die Aufgabenteilung?

Mario Germano:
Die Polizei spielt eine wichtige Rolle bei der Ermittlung von Straftaten innerhalb von Haftanstalten. In solchen Fällen arbeiten wir eng mit dem Justizvollzug zusammen, um sicherzustellen, dass alle relevanten Beweise gesammelt und alle notwendigen Verfahren eingehalten werden. Der Einsatz eines mobilen Drogenscanners in Gefängnissen ist tatsächlich ein spektakuläres Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justizvollzug. Dieses Projekt wurde vom Justizministerium Rheinland-Pfalz in Kooperation mit dem Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz ins Leben gerufen, um der Fürsorgepflicht für die Strafgefangenen nachzukommen und den Anstieg der Gewalt innerhalb des Vollzugs durch Rauschzustände einzudämmen. Die Aufgabenteilung in dieser Kooperation richtet sich nach den entsprechenden Kernkompetenzen. Unser Kriminaltechnisches Institut ist für die wissenschaftliche Betreuung zuständig. Hier arbeiten Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler deren Know-how wir benötigen, um das Gerät mit den notwendigen Datensätzen zu bestücken. Diese Datenbank wird stetig erneuert und nach einer entsprechenden Testphase dem gesamten Anwenderkreis zur Verfügung gestellt. Die Testung vor Ort in der Justizvollzugsanstalt wird durch die Justizvollzugsbeamten der Abteilung Sicherheit durchgeführt. Sie kennen die entsprechenden Schmuggelwege und Verstecke und können mit dem Drogenscanner auffällige Funde hinsichtlich Neuer Psychoaktiver Stoffe (NPS) überprüfen. Bei positivem Vortest können vollzugsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden. In Absprache mit den polizeilichen Dienststellen und der zuständigen Staatsanwaltschaft kann zudem entschieden werden, ob ein Strafverfahren eingeleitet werden soll. Es ist wichtig zu beachten, dass es sich bei dem Drogenscanner um ein Vortestverfahren handelt. Daher müssen die Asservate zusätzlich in einem forensisch-chemischen oder forensisch-toxikologischen Labor untersucht werden, um gerichtsfeste Ergebnisse zu erzielen.


Wie arbeitet der Drogenscanner genau?

Mario Germano:
Der Drogenscanner ist ein tragbares Ionenmobilitätsspektrometer. Vereinfacht ausgedrückt, wird die zu untersuchende Substanz durch ein elektrisches Feld geschickt und die Zeit, die diese Substanz benötigt, um das elektrische Feld zu durchqueren gemessen. Diese sogenannte Driftzeit kann bestimmten chemischen Verbindungen oder Molekülen zugeordnet werden. Aufgrund der Bauweise als tragbares Gerät können jedoch auch verschiedene Verbindungen oder Moleküle die gleiche Driftzeit aufweisen. Daher ist der Drogenscanner nicht für den breiten Einsatz im Bereich der Drogenkriminalität geeignet. Bei der Entwicklung dieses Vortestverfahrens stand jedoch die Erkennung einer bestimmten Substanzklasse, den synthetischen Cannabinoiden, im Fokus. Diese Substanzklasse spielt seit einigen Jahren vor allem im Justizvollzug eine große Rolle.

Synthetische Cannabinoide gelangen häufig über das Postsystem in die Haftanstalten. Sie werden in einem geeigneten Lösungsmittel gelöst und in flüssiger Form auf herkömmliches Papier, Karten oder Fotos aufgetragen und als normale Postsendung getarnt eingeschickt. Der Drogenscanner ist in Rheinland-Pfalz seit fünf Jahren im Einsatz und hat sich als sehr zuverlässig bei der Erkennung von mit synthetischen Cannabinoiden versetzten Papieren erwiesen.


Das Gerät ist offenbar ein großer Erfolg?

Mario Germano:
Ja, das Gerät ist in der Tat ein großer Erfolg. Es hat eine bedeutende Lücke im Bereich der Vortestverfahren für Neue Psychoaktive Stoffe (NPS), insbesondere für synthetische Cannabinoide, geschlossen. Dadurch konnte der Aktionsradius zur Eindämmung des Substanzmittelmissbrauchs in Justizvollzugsanstalten entscheidend ausgedehnt werden. Der Erfolg zeigt sich auch daran, dass nach der Pilotierung in Rheinland-Pfalz nun fast alle Bundesländer mit einem Drogendetektor für Justizvollzugsanstalten ausgestattet sind. Während unser Kriminaltechnisches Institut die wissenschaftliche Betreuung übernimmt, werden die administrativen Aufgaben innerhalb dieses Länderverbundes vom Justizministerium Rheinland-Pfalz bewältigt. Dies ist ein klares Zeichen dafür, wie wertvoll dieses Gerät für die Arbeit der Justizvollzugsanstalten und der Polizei geworden ist.


Herr Germano, Sie sind ja, wie eingangs erwähnt, ein Fachmann auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität. Wie stark ist sie nach Ihrer Einschätzung innerhalb der Gefängnismauern? Was bedeutet dies für die Zusammenarbeit von JVA und Polizei?

Mario Germano:
Organisierte Kriminalität zeichnet sich dadurch aus, dass wir es hier mit professionellen Täterstrukturen und -persönlichkeiten zu tun haben, die oftmals stringente von Kriminalität geprägte Lebenswege vorzuweisen haben. Es wäre daher naiv, davon auszugehen, dass die vorhandenen Strukturen und kriminellen Handlungsmuster nicht auch nach einer Inhaftierung noch weiter genutzt würden. Auch in Haftanstalten besteht zum einen ein großer Bedarf an illegalen Substanzen, also Rauschmitteln, zum anderen finden sich auch in Haftanstalten Tätigkeitsfelder um durch Straftaten wie z. B. Erpressung kriminelle Gewinne zu erwirtschaften. Nicht aus dem Blick geraten dürfen zudem Konkurrenzverhältnisse zwischen kriminellen Gruppierungen, die gerade im Bereich der OK auch zu tödlichen Auseinandersetzungen führen können. Konflikte können hierbei außerhalb wie innerhalb von Justizvollzugsanstalten ausgetragen werden. Es bedarf daher einer guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den JVAen, um das Risikopotenzial von Personen und Gruppierungen fortlaufend zu bewerten und effektive Strafverfolgung auch innerhalb der JVAen zu ermöglichen.


Worin sehen Sie eigentlich derzeit und in näherer Zukunft die größten Herausforderungen für die Sicherheit im Zusammenhang mit dem Justizvollzug?

Mario German
o: Zu den aktuellen Herausforderungen im Strafvollzug gehören die Überbelegung der Haftanstalten, der Bedarf an tatsächlicher Resozialisierung von Straftätern, die Gewährleistung von angemessenen Haftbedingungen, sowie die Bewältigung der steigenden Anforderungen an die psychologische Betreuung und Unterstützung von Häftlingen. Auch die interkulturellen Aspekte – verbunden mit den daraus resultierenden Anforderungen an die entsprechenden Kompetenzprofile der Mitarbeiterschaft in den JVAen – bedürfen einer immer größeren Aufmerksamkeit. Haftanstalten müssen sichere Orte sein und bleiben.


Herr Germano, herzlichen Dank für das Gespräch.

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