Security

PMeV: Campusnetze

Breitbandige Funkanwendungen: Perspektiven in Deutschland und Europa

28.10.2021 - Am 21. November 2019 hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) das Antragsverfahren für lokale breitbandige Funkanwendungen, sogenannte Campusnetze, im Frequenzbereich 3.700 bis 3.800 MHz gestartet.

Seither können auch Industrie, Energieversorger, kleine und mittlere Unternehmen, Kliniken sowie die Land- und Forstwirtschaft dediziert das Potenzial der kommenden Mobilfunkgeneration 5G, aber auch 4G (LTE) nutzen. Darüber hinaus besteht seit dem 1. Januar 2021 auch die Möglichkeit, Anträge auf Frequenzzuteilung im 26-GHz-Bereich für lokale Breitband-Netze für geschäftskritische Kommunikation zu stellen. Über Campusnetze und deren Perspektiven in Deutschland, den Erfolgsfaktor dedizierter Frequenzverfügbarkeit und die aktuellen Entwicklungen in Europa ein Interview mit Bernhard Klinger, Vorstandsvorsitzender des PMeV – Netzwerk sichere Kommunikation.

Herr Klinger, wie haben sich die Campusnetze im Frequenzbereich 3.700 bis 3.800 MHz seit Beginn des Antragsverfahrens entwickelt?

Bernhard Klinger: Nach Angaben der BNetzA sind bis Mitte September 148 Zuteilungen vorgenommen worden. Die zugeteilte Bandbreite liegt zu einem hohen Prozentsatz bei 100 MHz. Die Zuteilungsdauer beträgt ganz überwiegend zehn Jahre. Bei den Zuteilungsinhabern liegt ein guter Branchenmix vor: Das verarbeitende Gewerbe und die Dienstleistungen sind gut vertreten. Aber auch der Wissenschaftssektor – z.B. universitäre Forschungseinrichtungen und Kliniken – ist bei Campusnetzen mit von der Partie. Darüber hinaus steht seit Beginn dieses Jahres auch das 26-GHz-Band, also 24,25 bis 27,5 GHz, für lokale breitbandige Frequenznutzungen zur Verfügung. Es versorgt kleine und lokale Gebiete. Zu beachten ist, dass dieses Band nicht ausschließlich für die geschäftskritische Kommunikation zur Verfügung steht. Als zukünftige Nutzer dieses Bandes sind auch bundesweite Mobilfunknetzbetreiber z.B. für Hotspots denkbar. Weiterhin kann das 26-GHz-Band für regionale öffentliche Betreiber für Fixed Wireless Access (FWA) in kleinen Orten, die keinen Glasfaseranschluss haben, interessant sein – und schließlich auch für die Industrie, wenn es z.B. auf große Datenraten im Produktionsprozess ankommt.

Worin liegen die besonderen Vorzüge der 5G-Campusnetze?

Bernhard Klinger: Bei der Entwicklung von 5G stand nicht mehr allein die Erhöhung der Datenübertragungsrate im Vordergrund, sondern vielmehr das Thema der anwendungsgerechten Flexibilität. Flexibilität z.B. in Bezug auf den Datendurchsatz, die Prioritäten, Flexibilität bei den Latenzen – also den Verzögerungszeiten – , sowie Flexibilität in der Sicherheit und bei den Frequenzen. Dies macht 5G für Anwendungen in den unterschiedlichsten Industriebereichen attraktiv. Dadurch können insbesondere auch kleine und mittlere Unternehmen, Start-ups sowie Kommunen, aber auch Vertreter der Land- und Forstwirtschaft das Potenzial der kommenden Mobilfunkgeneration 5G für Anwendungen in Wirtschaft und Industrie nutzen.

Welche konkreten Anwendungen ermöglichen 5G-Campusnetze?

Bernhard Klinger: Die konkreten Anwendungen hängen individuell von den Anforderungen an autonome Systeme, den Prozessen und der Datenübertragung innerhalb eines Unternehmens ab. Es gibt nicht „das“ Einsatzszenario. Vielmehr geht es bei der 5G-Umsetzung darum, spezielle Lösungen für die individuellen Ansprüche im Unternehmen zu finden. Da jeder Anwendungsbereich seine speziellen branchenspezifischen Anforderungen z.B. an Flexibilität, Effizienz, Zuverlässigkeit, Sicherheit und Latenz, aber auch an Dienste und Anwendungen hat, bedarf es dedizierter Campusnetze mit entsprechenden  individuellen Lösungen. Diese Lösungen erfordern sehr branchenspezifisches Spezialwissen und Software, die exakt auf die jeweilige Anwendung zugeschnitten sein müssen. Es gibt also kein Campusnetz von der Stange.

Aus Kreisen der öffentlichen Netzbetreiber hat es kritische Stimmen wegen der Herausname des 3,7 - 3,8 GHz Bandes aus der Versteigerung gegeben...

Bernhard Klinger: Das stimmt. Die öffentlichen Netzbetreiber haben diese Vorgehensweise in ihren Stellungnahmen faktisch abgelehnt. Dennoch halte ich das Festhalten der BNetzA und der Bundesregierung an der Bereitstellung von Frequenzen für lokale Campusnetze für einen richtigen und zukunftsweisenden Schritt. Deutschland nimmt damit eine Vorreiterrolle bei der Bereitstellung von lizenzierbaren Breitbandfrequenzen für lokale Anwendungen in Europa ein. In einer Prognose aus dem Jahr 2020 geht das Bundeswirtschaftsministerium von einem Potential von 5.000 bis 10.000 lokalen Breitbandnetzen in den kommenden fünf Jahren aus.  Das bedeutende Potential von 5G-Campusnetzen liegt vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Und gerade diesen muss man die Zeit und die Möglichkeiten geben, sich das erforderliche Know-how anzueignen, um das Potenzial eines 5G-Campusnetzes voll auszuschöpfen. Die Bereitstellung der Frequenzen 3,7 – 3,8 GHz für lokale Breitbandnetze ist ganz klar eine Investition in die Zukunft.

Müssen denn Campusnetze notwendigerweise als dedizierte Netze konzipiert werden?

Bernhard Klinger: Der PMeV hat sich frühzeitig für zusätzliche dedizierte Breitbandfrequenzen für Unternehmen und Organisationen ausgesprochen. Denn datenintensive Anwendungen im Bereich des Professionellen Mobilfunks werden immer wichtiger und nehmen immer mehr zu. Dies gilt für einsatz- und geschäftsunterstützende Anwendungen und zunehmend auch für einsatz- und geschäftskritische Lösungen. Die Unabhängigkeit von Kommunikationsnetz-betreibern ermöglicht den Unternehmen als Eigenbetreiber eines Campusnetzes neue, an ihren spezifischen Erfordernissen ausgerichtete Lösungen. Sie erlangen digitale Souveränität, mehr Innovationskraft und stärken so ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Die Betreibermodelle von Campusnetzen erstrecken sind von der Bereitstellung des Netzes durch öffentliche Netzbetreiber bis hin zum Aufbau des Netzes durch das Unternehmen selbst. Welche besonderen Eigenschaften zeichnen die unterschiedlichen Betreibermodelle aus?

Bernhard Klinger: Der vollständige Eigenbetrieb ermöglicht eine maßgeschneiderte Anpassung des Campusnetzes an die unternehmensspezifischen Anforderungen und den höchsten Sicherheitsstandard. Gleichzeitig erfordert der Eigenbetrieb eine Expertise für Planung, Aufbau und Betrieb des Funknetzes. Diese kann allerdings auch durch einen Dienstleister eingebracht werden. Beim Betrieb eines Campusnetzes über ein Network Slice eines öffentlichen Mobilfunknetzes ist diese Expertise hingegen nicht erforderlich. Dieses Modell kann jedoch Flexibilität, Performance und Sicherheit des Campusnetzes beeinträchtigen.

Welches Modell wird sich zukünftig durchsetzen?

Bernhard Klinger: Hierzu gibt es unterschiedliche Prognosen aus den unterschiedlichen Perspektiven der öffentlicher Netzbetreiber und eines Branchenverbandes der einsatz- und geschäftskritischen Kommunikation, wie ich ihn vertrete. Nach über 30-jähriger Erfahrung und Begleitung der Themen der kritischen Kommunikation für Unternehmen und Organisationen stelle ich fest, dass die überwiegende Mehrheit der kritischen Sprachkommunikation über eigene dedizierte Netze mit dedizierten Frequenzen erfolgt. Mit anderen Worten: Öffentliche Netze haben sich bislang nicht bewährt. Der PMeV geht davon aus, dass sich diese Entwicklung auch bei der breitbandigen Kommunikation einstellen wird. Denn die Anforderungen an einsatz- bzw. geschäftskritische Kommunikationsnetze bleiben auch in Zukunft unverändert und gelten für Sprach- und Datenanwendungen im Schmalband wie auch im Breitbandbereich gleichermaßen.

Wie sieht der PMeV die weitere Entwicklung bei 5G-Campusnetzen?

Bernhard Klinger: Aus unserer Sicht besteht kein Zweifel, dass datenzentrische Anwendungen zunehmend auch im professionellen Umfeld, also bei Unternehmen und Organisationen, Einzug halten. Zunächst gilt dies für einsatzunterstützende Anwendungen und zunehmend auch für einsatzkritische Anwendungen. Wie bei allen neuen Technologien wird diese Entwicklung Zeit in Anspruch nehmen, aber sie wird sich durchsetzen. Das gilt generell auch für eine mobile, also über breitbandige Campusnetze gesteuerte flexible Digitalisierung der Wirtschaft. Früher oder später wird diese Art der Digitalisierung ein Muss für Unternehmen darstellen. Unternehmen, die sich der Digitalisierung entziehen, werden über kurz oder lang nicht mehr wettbewerbsfähig sein.

Kommen wir nochmal zurück auf das Thema Frequenzregulierung und werfen hierbei einen Blick auf Europa: Wie sieht die Frequenzregulierung für Campusnetze auf europäischer Ebene aus?

Bernhard Klinger: Bedauerlicherweise gibt es keine europaweite Frequenzregulierung für Campusnetze. Die EU hat die Chance versäumt, bei den Campusnetzen im Interesse von Anwendern und Herstellern einen europäischen Harmonisierungsprozess durchzusetzen. Ein einheitlicher Frequenzbereich für Campusnetze fehlt also auf EU-Ebene. Auch wenn in mehreren europäischen Ländern, u.a. in Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien mittlerweile lokal nutzbare Breitbandfrequenzen verfügbar sind, ist es der Bundesregierung hoch anzurechnen, dass sie frühzeitig auf nationaler Ebene die Errichtung von 4G/5G-Campusnetzen vorangetrieben und mit einem formalen Beantragungs- und Zuweisungsprozess von Frequenzen ermöglicht hat.