Safety

Umsetzung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG in einer Windenergieanlage

23.01.2014 - Die Wiederaufnahme der Produktion ihrer Windenergieanlage des Typs WTN 250 am Unternehmensstandort in Schleswig-Holstein stellte die Wind Technik Nord vor verschiedene Heraus­forde...

Die Wiederaufnahme der Produktion ihrer Windenergieanlage des Typs WTN 250 am Unternehmensstandort in Schleswig-Holstein stellte die Wind Technik Nord vor verschiedene Heraus­forderungen. Unter anderem sollten die WEA nach der Richtlinie 2010 des Germanischen Lloyd zertifiziert sowie gemäß Maschinenrichtlinie 2006/42/EG umgesetzt werden. Gemeinsam mit den Safety-Experten von Phoenix Contact entwickelten die Mitarbeiter des Windanlagen-Herstellers eine entsprechende Lösung.

Die 1986 von Norbert Wippich gegründete Firma Wind Technik Nord wird heute als inhabergeführtes Unternehmen von seinem Sohn Tobias Wippich geleitet. Neben der Entwicklung und Herstellung kleinerer Windenergieanlagen von 200 bis 600 kW übernehmen die 20 Mitarbeiter auch deren Vertrieb. Außerdem werden vom Unternehmenssitz in Enge-Sande nahe der dänischen Grenze Service-Dienstleistungen für die eigenen WEA angeboten. 2011 fiel die Entscheidung, die Fertigung der Anlagen vom Typ WTN 250 nach Schleswig-Holstein zurückzuholen und in diesem Zuge eine Zertifizierung gemäß der Richtlinie GL 2010 des Germanischen Lloyd durchzuführen. Ferner sollte die EG-Konformitätserklärung zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG abgegeben und das bisher verwendete Steuerungssystem im Hinblick auf eine Kosteneinsparung sowie insbesondere der sich aus der GL 2010 ergebenden Anforderungen ausgetauscht werden.

Als Projektleiter bei der Wind Technik Nord erhielt Paul Girolstein den Auftrag, eine passende Automatisierungslösung zu finden und gleichzeitig die Maschinensicherheit in das Projekt einzubeziehen. Nach einer umfassenden Sondierung des Marktes entschied er sich für Phoenix Contact, da der Blomberger Automatisierungsspezialist neben einem umfangreichen Komponenten- und Lösungsspektrum vielfältige Dienstleistungen im Bereich der Maschinensicherheit zur Verfügung stellt. Die Mitarbeiter beider Unternehmen sollten gemeinsam ein neues Automatisierungskonzept für die WTN 250 ausarbeiten. Bei der Windkraftanlage handelt es sich um eine Stall-regulierte Drei-Blatt-Anlage mit einer Nennleistung von 250 kW, die auf unterschiedlichen Türmen (30 bis 50 Meter) montiert wird. Die Flügel der WTN 250, deren Blattlänge 13,4 Meter beträgt, sind mit einer unabhängigen Fail-Safe-Tipspitzenbremse ausgestattet, wobei die gleichzeitige Auslösung durch die Zentrifugalkraft erreicht wird.

Gefährdungspotential ermitteln
Bevor mit der Überarbeitung der Automatisierungstechnik begonnen werden konnte, war die gemäß der Maschinenrichtlinie geforderte Risikobeurteilung zu erstellen. Paul Girolstein und seine Kollegen fragten dazu die Sicherheits-Experten aus dem Competence Center Safety von Phoenix Contact an. Am ersten Termin im August 2012 in Enge-Sande stellten diese den Mitarbeitern der mechanischen und elektrischen Konstruktion sowie des Service- und Wartungsbereichs ihr Vorlage-Dokument zur Risikobeurteilung vor, das nach Abschluss der Arbeiten als Nachweis der Umsetzung der Maschinenrichtlinie fungiert.

Im Produktionsbereich des Herstellers stand neben den Konstruktionsunterlagen die Gondel des Vorgängermodells der WTN 250 als Anschauungsobjekt bereit. Auf der Grundlage dieser Unterlagen gingen die Sicherheits-Experten mit dem Service-Team des WEA-Herstellers die einzelnen Arbeitsschritte durch, um Gefährdungspotentiale zu ermitteln, die während der Inbetriebnahme oder Wartung auftreten können. „Durch diese Vorgehensweise konnten wir sogar Verbesserungsmöglichkeiten herausarbeiten, die sofort in die mechanische Konstruktion eingeflossen sind", berichtet Paul Girolstein zufrieden. Aus den gemachten Erfahrungen haben die Beteiligten zudem die Erkenntnis gewonnen, dass es wichtig und richtig war, die Risikobeurteilung nicht nur im ersten Schritt durchzuführen, sondern alle an den einzelnen Lebensphasen der Windenergieanlage beteiligten Mitarbeiter gleich miteinzubeziehen.

Maßnahmen zur Risikominderung
Die Sicherheits-Experten von Phoenix Contact moderierten sowohl die Risikobeurteilung und unterstützten auch bei der Einstufung von Gefährdungspotentialen in den unterschiedlichen Lebensphasen der WEA. Die Risikobeurteilung wurde durch die Besteigung einer Windenergieanlage des Vorgängermodells, die in der Nähe von Enge-Sande aufgestellt ist, abgeschlossen. Vor Ort sind die aufgezeigten Gefährdungen dann noch einmal erörtert und die beschlossenen Maßnahmen zu ihrer Beseitigung überprüft worden. Paul Girolstein: „So konnten wir uns davon überzeugen, dass wir sämtliche Aspekte berücksichtigt und selbst einzelne, eher selten auszuführende Arbeitsschritte mit aufgenommen haben".

Im Anschluss an die Risikobeurteilung besprach das Projekt-Team die technischen Maßnahmen, die zusätzlich zur Risikominderung realisiert werden müssen. So klärte sich die Frage schnell, ob hier konventionelle Sicherheitsrelais ausreichen oder eine sichere Kleinsteuerung respektive Sicherheits-SPS notwendig ist. Anhand der Anzahl der erforderlichen sicheren Ein- und Ausgänge fiel die Entscheidung auf das Safety Bridge-System von Phoenix Contact. „In der alten WTN250-Anlage haben wir alle Steuerungsleitungen über ein vielpoliges Multikabel vom Turmfuß in die Gondel verlegt", erzählt Paul Girolstein. „Durch Nutzung des steuerungs- und netzwerkunabhängigen SafetyBridge-Systems in Verbindung mit dem Interbus-Protokoll in LWL-Ausführung können wir jetzt auf diese aufwändige Verkabelung verzichten".

Die Risikobeurteilung hat den Verantwortlichen bei Wind Technik Nord verdeutlicht, dass bestimmte Sicherheitsfunktionen vorhanden sein müssen, um das sichere Arbeiten an und in einer WEA zu ermöglichen sowie die Umgebung bei deren Betrieb abzusichern. Mit dem SafetyBridge-System lassen sich diese Anforderungen einfach umsetzen. Darüber hinaus steht dem Wartungs- und Service-Personal zukünftig eine umfassende Diagnose zur Verfügung, die den Mitarbeitern über die Steuerungslösung von Phoenix Contact auf Basis der Engineering-Umgebung PC Worx und einer unterstützenden Visualisierung angezeigt wird.

Sicherheitsfunktionen detailliert im Pflichtenheft
Aus der Norm DIN EN ISO 13849-1, welche die Anforderungen an die technische Realisierung von Sicherheitsfunktionen erläutert, ergibt sich die Notwendigkeit, die nach der Risikobeurteilung ermittelten Sicherheitsfunktionen detailliert zu beschreiben. Dies wurde bei der Wind Technik Nord im so genannten Hardware-Pflichtenheft gemacht. Hier ist jede einzelne Sicherheitsfunktion wie Not-Halt, Vibrationsüberwachung oder Überdrehzahl-Überwachung mit den eingesetzten Bauteilen und deren Bauteilgüte, den Diagnose-Eigenschaften und Maßnahmen zu Fehlern gemeinsamer Ursache sowie der Struktur der Sicherheitsfunktionen - also beispielsweise ein- oder zweikanalig - aufgeführt. Auf der Grundlage dieser Angaben konnte Paul Girolstein dann das Performance Level für die jeweilige Sicherheitsfunktion bestimmen.

Die Hardware-Spezifikation wird durch weitere Beschreibungen zum Beispiel zum Startverhalten nach der Spannungswiederkehr oder zu Fehlerausschlüssen ergänzt. Sie bildet nun die Basis für die nachfolgenden Verifikationsschritte. „Natürlich haben wir auch die sichere Umsetzung der Software für das SafetyBridge-System über das Konfigurations-Tool Safeconf spezifiziert, um den Anforderungen der DIN EN ISO 13849-1 gerecht zu werden", so Paul Girolstein. Die Sicherheits-Experten von Phoenix Contact haben ihm hier ebenfalls zur Seite gestanden. Das Competence Center Safety bietet somit weit mehr als einen reinen Produkt-Support.

Premiere in der Türkei
In Kürze stellt das Unternehmen in der Türkei die erste überarbeitete WTN250-Anlage auf, die aktuell nach GL 2010 zertifiziert wird und konform zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ist. Neben dem von vielen internationalen Kunden geforderten „Made in Germany" als Garant für hohe Qualität zeichnet sich die WTN 250 somit durch eine innovative Steuerungs- und Sicherheits­technik aus. „Zusammenfassend können wir sagen, dass wir mit Phoenix Contact den richtigen Lösungspartner gefunden haben", resümieren Paul Girolstein, Tobias Wippich und Dieter Guschewski. „Von der Unterstützung bei der Realisierung der Maschinenrichtlinie über die Erarbeitung einer individuellen Steuerungslösung bis zur Installation eines zuverlässigen Überspannungsschutz-Konzepts sind alle unsere Erwartungen erfüllt worden. Das gibt uns ein gutes, weil sicheres Gefühl".

 

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