Safety

Arbeiten in der Höhe - Maßnahmen zur Absturzsicherung

04.04.2013 - Mängel in der Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes gehören zu den Hauptursachen von Absturz-Unfällen - es handelt sich also meistens um vermeidbare Ereignisse. Die rechtl...

Mängel in der Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes gehören zu den Hauptursachen von Absturz-Unfällen - es handelt sich also meistens um vermeidbare Ereignisse. Die rechtlichen Vorschriften sind da - ebenso wie Produkte zur Absturzsicherung. An Sensibilität für das Thema Absturzschutz fehlt es eher beim Nutzer, bei Mitarbeitern und Führungspersonal vor Ort, sagt Detlev Opara, Leiter des Bereichs Hochbau der Abteilung ­Prävention der BG Bau im Interview mit GIT-SICHERHEIT.de.

GIT-SICHERHEIT.de: Herr Opara, lassen Sie uns zunächst einmal über die Relevanz von ­Absturzsicherungsmaßnahmen sprechen: Ob es nun etwa um Gerüste oder um ­Persönliche Schutzausrüstung geht - Ziel ist ja die Reduzierung von Absturzunfällen. Zeigen die Statistiken hier eigentlich eine Verringerung der Unfallzahlen?

Detlev Opara: Ja, allerdings wird die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) die Zahlen zum Unfallgeschehen 2012 erst Mitte des laufenden Jahres veröffentlichen - aber ich kann für die Beantwortung Ihrer Frage die Zahlen bis 2011 heranziehen: Die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle pro 1.000 Vollarbeiter ist von 109,71 im Jahr 1999 auf 63,68 im Jahr 2011 gesunken. Dies entspricht einem Rückgang von etwa 42 Prozent. Da es keine spezielle Statistik über die Entwicklung der Absturzunfälle gibt, ziehe ich die Zahlen für die neuen Arbeitsunfallrenten heran. Häufig führen Absturzunfälle zu schweren Verletzungen und zu neuen Unfallrenten, so dass die zeitliche Entwicklung ähnlich sein dürfte. Von 1999 bis 2011 sank die Zahl der neuen Arbeitsunfallrenten pro 1.000 Vollarbeiter von 2,23 um zirka 50 Prozent auf 1,37. In konkreten Zahlen registrierte die BG Bau 2.500 neue Arbeitsunfallrenten im Jahr 2011.

Das klingt kompliziert...

Detlev Opara: Zum besseren Verständnis muss man wissen, dass das Unfallgeschehen statistisch in „meldepflichtige Arbeitsunfälle" und „neue Unfallrenten" unterschieden wird. Nach der Definition ist von einem meldepflichtigen Arbeitsunfall die Rede, wenn er zu einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder zum Tod führt. Neue Unfallrenten folgen aus Unfällen mit so schweren Folgen, dass es im Berichtsjahr erstmals zu einer Entschädigung in Form einer Rente bzw. Abfindung oder zur Zahlung von Sterbegeld gekommen ist. Um den Zusammenhang zwischen den absoluten Unfallzahlen und der Anzahl der Beschäftigten herzustellen, wird die statistische Größe „Vollarbeiter" genutzt. Dies entspricht der durchschnittlich von einer vollbeschäftigten Person im produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich tatsächlich geleisteten Arbeitsstundenzahl pro Jahr. Ein Vollarbeiter spiegelt die durchschnittliche Expositionszeit eines Vollbeschäftigten gegenüber Arbeitsunfällen wieder.

Was sind eigentlich die hauptsächlichen ­Ursachen von Abstürzen? Liegen diese im ­laxen Umgang mit Vorschriften, an fehlerhaften Gefährdungsbeurteilungen oder am Einsatz mangelhaften oder ungeeigneten Steiggeräts?

Detlev Opara: Die Ursachen für Absturzunfälle sind vielfältig. Nach den Erfahrungen der BG Bau werden die meisten Arbeitsunfälle durch eine mangelhafte Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes auf den Baustellen verursacht. Dies stellt einen Verstoß gegen geltendes Recht, wie dem Arbeitsschutzgesetz oder der Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention" dar. Es kann davon ausgegangen werden, dass mit Hilfe entsprechender Gefährdungsbeurteilungen diese Unfälle hätten verhindert werden können. Insbesondere wenn bereits in der Planung die Rangfolge der Schutzmaßnahmen umgesetzt worden wäre.

Wie sieht diese Rangfolge aus?

Detlev Opara: Als erstes gilt es, die Gefährdungen von vorn herein zu vermeiden, bzw. so gering wie möglich halten. Sodann müssen die Gefahren an der Quelle bekämpft werden. Bei allen Maßnahmen ist der Stand der Technik zu berücksichtigen. Schließlich sind individuelle Maßnahmen nachrangig zu anderen Maßnahmen einzusetzen.

Auf welchen Gebieten hat sich technisch gesehen das Meiste verändert in den letzten Jahren?

Detlev Opara: Die Entwicklungen von Produkten zur Absturzsicherung sind bereits seit Jahren auf einem hohen Stand. Es gibt natürlich entsprechende Veränderungen, deren Auswirkungen sich nur schwer abschätzen lassen. Umwälzende Veränderungen hat es allerdings in den letzten Jahren nicht gegeben.

Wo sehen Sie - seitens der Hersteller und ­seitens der Nutzer - noch Handlungsbedarf?

Detlev Opara: Handlungsbedarf besteht überwiegend auf Seiten der Nutzer. Wenn die notwendigen Produkte zur Absturzsicherung angeschafft und eingesetzt würden, gäbe es ein deutlich geringeres Unfallgeschehen. Die Gründe dafür, dass sie nicht genutzt werden, sind ebenfalls vielfältig. Natürlich ist auch zu berücksichtigen, dass es sich in der Bauwirtschaft nicht um stationäre Arbeitsplätze handelt, sondern, dass die Produktionsumgebung ständig wechselt. Auch dadurch unterliegen die Bauunternehmen einem enormen Kosten- und Zeitdruck. Aber wie gesagt, es fehlt oft die richtige Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes, hier gibt es den größten Handlungsbedarf.

Neben Arbeitsschutzgesetz und Betriebssicherheitsverordnung gibt es ja eine ganze Reihe absturzbezogener berufsgenossenschaftlicher Vorschriften sowie DIN-Normen. Was sind die wichtigsten Normen?

Detlev Opara: Im Bereich der Absturzsicherungen liegen die entsprechenden Normen bereits seit Jahren vor und werden in regelmäßigen Abständen angepasst. In den meisten Fällen handelt es sich um harmonisierte Normen, also um Normen, die europaweit gelten. Das sind, um nur ein paar Beispiele zu nennen, zunächst einmal die Normen der Reihe DIN EN 12811: Temporäre Konstruktionen für Bauwerke - Teile 1 bis 4. Dazu kommen die DIN EN 13374: temporäre Seitenschutzsysteme - Produktfestlegungen und Prüfverfahren (2004) sowie die Normen der Reihe DIN EN 353 Teil 1 und 2: Persönliche Schutzausrüstungen gegen Absturz.

Wie beurteilen Sie die Akzeptanz und ­Umsetzung dieser sicherheitsrelevanten ­Normen in der Praxis?

Detlev Opara: Im Rahmen des freien Warenverkehrs innerhalb Europas sind die Beschaffenheitsanforderungen einheitlich geregelt. Diese Anforderungen werden in den Normen konkretisiert und die Maschinen oder Produkte mit einer CE-Kennzeichnung versehen. Sie entsprechen dem Stand der Technik und werden da, wo Unternehmen verantwortlich handeln, in der Praxis angeschafft und auch benutzt. Bei Arbeits- und Schutzgerüsten sind sie zum Beispiel Grundlage für die bauaufsichtliche Zulassung. Ohne diese Zulassung dürfen in Deutschland keine Gerüste gestellt werden.

Wo würden Sie sich persönlich noch ­Verbesserungen im Bereich Absturzsicherung wünschen?

Detlev Opara: Persönlich wünsche ich mir eine weitere Sensibilisierung des Führungspersonals und der Beschäftigten gegenüber der Absturzgefahr. Mehr Organisation in Sachen Arbeitsschutz und weniger Risikobereitschaft - das ist meine Botschaft. Auch wenn in der Vergangenheit schon viel erreicht wurde, ist jeder Absturzunfall einer zu viel. Die Auswirkungen sind für die Betroffenen und ihre Familie, die Unternehmen und die Volkswirtschaft weitreichend. Nach einer internationalen Studie resultiert aus jedem in die Prävention investierten Euro das Doppelte an wirtschaftlichem Erfolg.