Management

Wirtschaftskriminalität: Interview mit Manfred Lotze, Detektiv-Institut Kocks

27.01.2012 - Die verfügbaren Zahlen weichen voneinander ab - fest steht jedoch, dass Wirtschaftskriminalität in Deutschland zu jährlichen Schäden von vielen ­Milliarden Euro führt. Staatsanwaltschaften und Gerichte scheinen überlastet. Was bedeutet das für Unternehmen? Matthias Erler von GIT SICHERHEIT ­befragte dazu Manfred Lotze vom Düsseldorfer ­Detektiv-Institut Kocks.

Herr Lotze, Schäden ­wegen Wirtschaftskriminalität gehen in die Milliarden. Leben wir eigentlich ­in einem El Dorado für Ganoven?

Manfred Lotze: Wir müssen zumindest feststellen, dass die Wirtschaftskriminalität - darunter verstehe ich alles, was der Wirtschaft schadet - ganz erhebliche Schäden verursacht. Betrachten wir allein den Ladendiebstahl in den zwölf Monaten zwischen Juli 2009 und Juni 2010, so haben wir es hier schon alleine mit einem Schaden von 5 Milliarden Euro im Einzelhandel zu tun. Die jüngsten Bestechlichkeits-Skandale u.a. bei einem deutschen Elektronikkonzern macht aber noch eine darüber hinausgehende Dimension deutlich: Weil diese Firma an der New Yorker Börse gelistet ist, musste man Untersuchungen durch nahezu hundert Anwälte über viele Wochen hinweg finanzieren - eigenes Personal musste zuarbeiten. Die Folgekosten der ursprünglichen kriminellen Akte gingen deshalb zusätzlich in die Milliarden. In unserer Untersuchung „Tatort Arbeitsplatz" kommen wir inklusive solcher Folgeschäden plus hoher Dunkelziffer auf ca. 100 Milliarden Euro jährlich in Deutschland.

Also tatsächlich ein El Dorado...?

Manfred Lotze: Das nicht, aber Tatsache ist, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte an ihre Grenzen stoßen - personell und technisch. Übrigens entsteht, wenn staatliche Strafermittlungsbehörden anfangen in einem Unternehmen zu ermitteln, ein gar nicht messbarer Imageschaden - anders als beim Einsatz privater Ermittler.

Berichten Ihre Klienten denn von überforderten Behörden?

Manfred Lotze: Wir kriegen das selbst in unserer täglichen Arbeit hautnah mit. Wir empfehlen oft Anzeigen zunächst gegen Unbekannt, damit wir unter Umständen in der Lage sind, eine Hausdurchsuchung zu veranlassen. Wir haben danach bei Ergänzungsmeldungen erlebt, dass man achselzuckend auf riesige Aktenberge zeigt, die sich bis zur Decke stapeln: Es fehlt die Zeit zur Bearbeitung. Betroffene wenden sich also an uns - dies sind dann übrigens Fälle, die wiederum nicht in den Statistiken erscheinen.

Tun Unternehmer hier zu wenig - und was können sie überhaupt machen?

Manfred Lotze: Ich bin nicht sicher, ob sie wirklich zu wenig machen - ich frage mich aber, ob sie das Richtige machen. Immerhin geben Unternehmen ja immense Summen u.a. aus für Werkschutz, Pförtner, Interne Revisoren - und jetzt als Krönung noch den Compliance Officer. Und dennoch sind laut BKA die Schäden aus Wirtschaftskriminalität um 19,9% gestiegen. Vernünftig wären mehr Maßnahmen zur Prävention, wofür wir einige Instrumente in mehr als 55 Jahren Praxis entwickelt haben. Das würde bedeuten, die bestehenden Aufsichts- und Kontrollpflichten ernst zu nehmen.

Welchen Beitrag zur Vorbeugung können Detektive leisten?

Manfred Lotze: Wir haben zahlreiche Möglichkeiten. So können wir Personalmitarbeiter über Bewerbertricks schulen - ich mache selbst dazu Workshops und Inhouse-Veranstaltungen. Wer zum Beispiel bei der Bewerbung schon zur Unwahrheit neigt, wird nach unseren Erlebnissen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit während des Arbeitsverhältnisses eine kriminelle Karriere einschlagen.

Ein Bewerber wird sich nun allerdings selten in schlechtem Licht präsentieren wollen...

Manfred Lotze: Ein bisschen Schönfärben ist eine Sache - aber wenn Lücken im Lebenslauf mit Erfundenem gefüllt werden, weil man in der Zeit im Knast saß, hört der Spaß auf. Wir machen deshalb etwa den Bewerbungscheck. Außerdem bieten wir Schwachstellenanalysen und Sicherheitsberatung für Unternehmen sowie diskrete Ermittlungen und Beobachtungen. Gelegentlich integrieren wir auch unsere Mitarbeiter in die Verdachtsgruppe. Ferner nutzen wir die erlaubten Techniken. Dazu gehört zumindest noch der Einsatz verdeckter Videoüberwachung im konkreten Verdachtsfall.

Sie spielen gerade auf das geplante Arbeitnehmerdatenschutzgesetz an - und damit natürlich auf das Interesse an informationeller Selbstbestimmung, wenn es um die Über­wachung von Mitarbeitern geht. Die Vorfälle bei Lidl, Deutscher Bahn und Telekom klingen uns noch in den Ohren...

Manfred Lotze: Zunächst einmal hat der Verantwortliche im Unternehmen Kontrollpflichten, um Schäden gar nicht erst entstehen zu lassen. Das ergibt sich u.a. aus dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) sowie dem Ordnungswidrigkeitengesetz, insbesondere dessen § 130, der eine Geldstrafe androht. Auch aus Basel II ergeben sich Zwänge, wenn eine Abstufung im Unternehmensrating verhindert werden soll. Was übrigens die von Ihnen genannten Beispiele betrifft: Ich bin völlig auf der Seite von Herrn Mehdorn. Er hat meiner Ansicht nach richtig gehandelt. Man muss das vor dem Hintergrund sehen, dass im Jahr etwa 400 Korruptionsfälle bei der Deutschen Bahn vorgekommen sein sollen.

Welche Ermittlungsmethoden sind überhaupt möglich und welche nicht?

Manfred Lotze: Möglich ist für uns Private alles, was nicht verboten ist. Da haben wir es besser als Polizei und Staatsanwaltschaft, die nur tun dürfen, was ihnen ausdrücklich erlaubt ist. Ich hielte es für sehr gefährlich, wenn das derzeit noch in Vorbereitung befindliche Arbeitnehmerdatenschutzgesetz hier Einschränkungen brächte. Das würde vieles sehr viel komplizierter, aufwendiger und teurer machen - wenn nicht gar die Aufklärung verhindern. Heute ist es aber noch so, dass der Detektiv bei überwiegend berechtigtem Interesse des Unternehmens Daten erheben und weitergeben darf. Datenschutz verhindert also keine Verdachtsprüfungen.

Wie sehen Verdachtsprüfungen praktisch aus - können Sie uns das anhand von Beispielen ­erläutern?

Manfred Lotze: Stellen Sie sich einen Bauunternehmer vor, der einen laufenden Auftrag verliert, ohne zu wissen warum. Ihm wird aber zugetragen, dass die Mitarbeiter auf der Baustelle die Arbeitszeiten nicht einhalten - evtl. wegen Schwarzarbeit? Er hat keine Zeiterfassung. Dem Verdacht kann nachgegangen werden, indem diskret beobachtet wird, wann die Jungs kommen und wann sie gehen. Ein anderes Beispiel aus unserer Praxis: Ein Mitarbeiter wird wegen bestimmter Ungereimtheiten entlassen und es stellt sich heraus, dass ein Wettbewerber kurze Zeit später über Know-how des bisherigen Arbeitgebers verfügt. Das begründet auch einen Verdacht, dem wir diskret nachgehen können.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lotze.

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