Brandschutz

Sicherheit bei Großveranstaltungen: Algorithmus der Risikobewältigung

23.04.2012 - Wie sorgt man für Sicherheit von Großveranstaltungen? Diese Frage stellt sich bei jedem Event neu - und ihre Brisanz erschließt sich jedem, der sich zum Beispiel an die Kata­­­stro...

Wie sorgt man für Sicherheit von Großveranstaltungen? Diese Frage stellt sich bei jedem Event neu - und ihre Brisanz erschließt sich jedem, der sich zum Beispiel an die Kata­­­strophe bei der Duisburger Love-­Parade erinnert. Der sogenannte „Kölner Algorithmus" ist zur Be­messung der rettungs- und sanitärdienstlichen Versorgung entwickelt worden. Jetzt gibt es dafür eine bei der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) downloadbare Software-Fassung. GIT-SICHERHEIT.de sprach dazu mit Dr. Jörg Schmidt, Leiter der Stabsstelle „Städtisches Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz" der Stadt Köln, und Dr. Dirk Ober­hagemann, der sich bei der vfdb ­unter anderem um die Koordination des Forschungsprojekts „Risiko Großveranstaltungen" kümmert.

Herr Dr. Oberhagemann, die Sicherung von Großveranstaltungen ist nicht erst seit der Love-Parade in Duisburg ein wichtiges Thema - doch Unglücke wie diese sind natürlich der Anstoß für Diskussionen und Verbesserungen. Ist man heute besser auf die spezifischen Gefahren solcher Groß-Events vorbereitet - fachlich und tatsächlich?

Dirk Oberhagemann: Eindeutige Antwort - Jein. Klassisch sind und waren die Großstädte die Orte für Großveranstaltungen. Sie haben, je nach Färbung des kulturellen Lebens, über Jahrzehnte Erfahrungen gesammelt und ihre Planungen standardisiert. Früher exotisch, müssen sich mit dieser Aufgabe heute mehr und mehr Landkreise und ihre Gemeinden befassen, denn viele von ihnen nutzen Veranstaltungen zur eigenen Attraktivitätswerbung. Wir stehen also in erster Linie vor der Herausforderung, das vorhandene Fachwissen allen zugänglich zu machen.

Das heißt, es gibt auch starke regionale Unterschiede?

Dirk Oberhagemann: Während sich in Nordrhein-Westfalen deutlich etwas verbessert hat - von der Zuständigkeit über die Planung und Genehmigung bis hin zur Durchführung - scheint es diese Problematik in anderen Bundesländern teilweise gar nicht zu geben. Dies reicht von der Einschätzung von Veranstaltern, sie benötigten kein Sicherheitskonzept, über Behörden, die keine oder nur teilweise zuständig sind, bis hin zu Ministerien, die sich der Verantwortung nicht bewusst sind.

Was sind, zusammengefasst, eigentlich die hauptsächlichen Probleme bei der Sicherung von Großveranstaltungen?

Dirk Oberhagemann: Im Rahmen einer Gefährdungsanalyse können, je nach Veranstaltung, unterschiedliche Aspekte berücksichtigt werden. Dabei geht es zum Beispiel um die lokalen Dichten von Personen und die Überfüllung des Geländes oder von Geländeabschnitten. Hier tun sich viele Veranstalter und Genehmigungsbehörden bei der Beurteilung der Gefährdungen schwer. Die Herausforderung bei Großveranstaltungen liegt darin, das Verhalten der Besucher vorherzusehen und durch vorbeugende und Gefahrenabwehr-Maßnahmen die Risiken aufgrund der hohen Personendichte, -zahl und der Art der Veranstaltung zu begrenzen oder ihre Folgen zu mildern.

Welche Mittel stehen dafür zur Verfügung?

Jörg Schmidt: Die möglichen Maßnahmen sind so vielfältig, dass der Planer eine Auswahl treffen muss. Er muss dabei zum einen so wählen, dass er den Charakter der Veranstaltung erhält. Zum anderen braucht er taktisch-organisatorische Kenntnisse zur Auswahl von Führungskräften im Einsatzdienst von Feuerwehr, Rettungsdienst, Polizei und Katastrophenschutz. Aus A folgt nicht zwangsläufig B, sondern ein Risiko kann durch Kombination verschiedener Maßnahmen begrenzt werden - dazu gehört auch eine profunde Kenntnis der Leistungsfähigkeit der kommunalen Gefahrenabwehr vor Ort.

Zur Bemessung der rettungs- und ­sanitätsdienstlichen Versorgung greift man auf den „Kölner Algorithmus" zurück. Wie funktioniert er genau?

Jörg Schmidt: Der Kölner Algorithmus verknüpft Empirie (Erfahrungswerte) mit der taktischen Ordnung des Raums - er analysiert die räumliche Struktur der Veranstaltung, teilt sie in Wachbezirke ein und schätzt mit der Empirie die notwendige Stärke der Einsatzkräfte und Ressourcen in jedem Wachbezirk. Hier kann der Planer die Zusammensetzung wählen. Der Kölner Algorithmus gleicht damit der Rettungsdienst- oder Brandschutz-Bedarfsplanung, dem ingenieurwissenschaftlichen Stand der Technik. Er ist transparent, nachvollziehbar und reproduzierbar und fußt auf einem zu definierenden Schutzziel. Damit erfüllt er moderne Qualitätsansprüche. Die jetzt erhältliche Software-Version erleichtert die Arbeit mit dem Kölner Algorithmus.

Es gibt ja auch das Punktesystem nach Klaus Maurer - wird er noch weiter verwendet in der Praxis?

Jörg Schmidt: Bereits 2005 haben wir mit der Fachhochschule Köln nachgewiesen, dass nahezu alle Anwender des Verfahrens nach Klaus Maurer von 1994 die Methode falsch anwenden, weil sie sie auf das Punktesystem beschränken. Dies gilt für einen homogenen, nicht-unterteilten Veranstaltungsraum, erscheint dadurch aber simpel. Von der Idee her sind das Maurer-Verfahren und der Kölner Algorithmus nämlich gleich. Die Empirie des Verfahrens ist nun mehr als 17 Jahre alt - Menschen, Veranstaltungen und Einflüsse haben sich geändert. Daher griffen die Fachplaner der Großstädte bereits im letzten Jahrzehnt auf eigene Empirie zurück; mehrheitlich Unerfahrene versuchen heute, rein über das Punktesystem Verfahrenssicherheit zu gewinnen. Die Berechnung der Gefahrenabwehr beim Maurer-Verfahren ist unverrückbar auf einen Stufenschlüssel von 1994 fixiert, der dem Rettungsdienst 2012 nicht mehr deutschlandweit gerecht wird. Die Länder Hessen und Berlin haben das Punktesystems des Maurer-Verfahrens übernommen und für einen nicht-unterteilten Veranstaltungsraum eine Schätzung der Gefahrenabwehr mit einer aktualisierten Empirie möglich gemacht.

Gibt es noch andere ­konkurrierende Methoden?

Jörg Schmidt: International angesehen sind die britischen und die kanadisch-amerikanisch-australischen Planungen, die im Wesen mit dem Kölner Algorithmus bzw. der vfdb-Richtlinie 3-3 verwandt sind. Die Arbeiten zu diesem Thema laufen ja im Rahmen des Forschungsprojektes „Risiko Großveranstaltungen - Planung, Bewertung EVAkuierung und Rettungskonzepte EVA".

Welche anderen Themen verfolgen Sie ­derzeit noch innerhalb dieses Projektes?

Dirk Oberhagemann: Das Projekt ist jetzt fast abgeschlossen, und wir werden zum Thema Personendichten und Personenstromanalysen noch im Frühjahr 2012 einen technischen Bericht der vfdb veröffentlichen.
Herr Dr. Oberhagemann,

Herr Dr. Schmidt, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

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