Safety

Safety Leadership: Buzzword oder sinnvoller Führungsansatz?

09.05.2023 - Safety – das war in der Vergangenheit für viele Unternehmen eine lästige Pflicht, die Kosten verursachte, Abläufe verkomplizierte und im schlimmsten Fall sogar die Produktivität senkte. Nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie hat sich dieses Image grundlegend gewandelt. Quasi über Nacht wurden Health-Safety-Environment-Manager (HSE-Manager) aus ihrem bisherigen Nischendasein auf die Bühne der ­Unternehmen katapultiert. GIT SICHERHEIT im Interview mit Robert Zemke, Team Manager Consulting und Fachkraft für Arbeitssicherheit bei der Quentic GmbH.

Unter dem Schlagwort „Safety Leadership“ hat sich nicht erst seitdem eine eigene Unternehmenskultur entwickelt, in der Safety als ein ganzheitliches Konzept betrachtet wird und in dessen finaler Form alle Mitarbeitende als Safety Leader betrachtet werden kann. Dennoch kommt natürlich auch in diesem Konzept zunächst den Führungskräften eine tragende Rolle und eine Vorbildfunktion bei der Implementierung zu. Das Ziel besteht darin, die Unfallstatistiken soweit wie möglich zu senken, eine gemeinsame Wertekultur rund um die Themen Arbeitsschutz und Gesundheit zu schaffen sowie eigen- und fremdverantwortliches Verhalten in der Gruppe zu stärken.

Das klingt zunächst alles sehr positiv, doch was ist wirklich dran am Schlagwort „Safety Leadership“? Handelt es sich hierbei vielleicht doch eher um einen bloßen Hype, dessen Inhalte und Forderungen im Zweifel der harten Realität des betrieblichen Alltags geopfert werden – ob nun aus Bequemlichkeit, Druck von oben oder einfach mangelndem Gefahrenbewusstsein? GIT SICHERHEIT macht den Fakten-Check mit Robert Zemke, Team Manager Consulting und Fachkraft für Arbeitssicherheit bei Quentic, einem Lösungsanbieter von Software as a Service für HSEQ und ESG-Management.


GIT SICHERHEIT: Herr Zemke, zunächst einmal zum Grundverständnis – was genau hat man denn nun unter den Begriff „Safety Leadership“ zu verstehen? Und geht es dabei lediglich um Arbeitsschutz oder um mehr?

Robert Zemke: Es geht um mehr, als nur Arbeitsschutz. Es geht darum, eine Kultur der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz zu schaffen. Aufgabe der Führungskraft ist es, ein Umfeld zu kreieren, in dem Mitarbeitende dazu ermutigt werden, sichere Verhaltensweisen zu praktizieren und potenzielle Risiken zu melden. Es geht auch darum, Risiken zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um diese zu reduzieren oder zu beheben. Ganz entscheidend ist dabei eine offene Kommunikation, in der Mitarbeitende Bedenken und Vorschläge zur Verbesserung der Sicherheit äußern können. Denn letztendlich geht es darum, dass am Ende eines jeden Arbeitstages alle gesund nach Hause kommen.


Welche direkt greifbaren Vorteile hat denn die Implementierung einer entsprechenden Unternehmenskultur aus Sicht der Unternehmensführung?

Robert Zemke: Unternehmen profitieren erheblich von solch einer Kultur. Denken Sie allein an die höhere Produktivität und Leistung aufgrund von weniger krankheits- oder unfallbedingten Ausfällen. Auch eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung, sowie mehr Motivation und Engagement der Mitarbeitenden können die Folge sein. Mitarbeitende lassen sich sehr gut in den ganzen Prozess einbinden und Verantwortung kann in Teilen übertragen werden. Nicht unerhebliche Vorteile sind außerdem eine niedrigere Fluktuation und ein besseres Image.


… und welche Vorteile hat das Safety Leadership für die Mitarbeitenden?

Robert Zemke:
Auch für die gibt es Vorteile: Eine höhere Work-Life-Balance zum Beispiel, wenn etwa Faktoren wie Arbeitsbelastung und Stress reduziert werden. Sicherheitsrisiken können im Rahmen einer solchen Kultur nicht einfach ignoriert werden. Wenn sich alle für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz einsetzen, kann das auch das Teamwork stärken und somit auch zu einem gesünderen Arbeitsklima und mehr Zufriedenheit am Arbeitsplatz führen. All diese Faktoren können zu einer gestärkten Mitarbeitergesundheit und -sicherheit führen. Wenn die Sicherheitskultur auf Bereiche wie gesundes Kantinenessen oder Fitnessangebote ausgeweitet wird, zeigt auch dies den Mitarbeitenden, dass ihre Vorgesetzten sie wertschätzen und an der langfristigen Sicherheit und Gesundheit ihrer Mitarbeitenden interessiert sind.


Dann gehen wir jetzt mal ans Eingemachte! Hand aufs Herz, Herr Zemke: Wie ist es denn tatsächlich in der breiten ­Fläche um die Unternehmenskultur bestellt? Spielt das Konzept Safety Leadership in der gegenwärtig gelebten Praxis wirklich eine größere Rolle oder ist hier doch eher der fromme Wunsch nach einer besseren Arbeitskultur der Vater des Gedankens?

Robert Zemke: Eine gelebte Sicherheitskultur entsteht natürlich nicht von heute auf morgen auf dem Reißbrett. Sicherlich war das Thema in der Vergangenheit eher durch eine charismatische Führungskraft und gute Kommunikation getrieben, um Themen des Arbeitsschutzes nicht als graue gesetzliche Verpflichtung erscheinen zu lassen. Das hat sich aber spätestens mit der Corona-Krise geändert. Fachkräfte für Arbeitsschutz haben dadurch in den letzten Jahren deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten, und zwar sowohl vom Management als auch von den Mitarbeitenden. Diese Präsenz gilt es jetzt zu nutzen, um aktiv die Themen Sicherheit und Arbeitsschutz weiter voranzubringen.


Gehen wir das Thema an dieser Stelle nochmal von einer anderen Richtung aus an: Wann wenden sich Unternehmen denn an Quentic? Oder anders gefragt: Was sind denn die eigentlichen Triebfedern auf Seiten der Unternehmen, um sich mit dem Thema Safety / HSE bzw. HSEQ ernsthaft zu befassen?

Robert Zemke: Die Gründe können ganz unterschiedlich sein. Zum einen sind es sicherlich Rückmeldungen seitens der Aufsichtsbehörden nach einem Arbeitsunfall oder aber durch ein Audit, aus dem sich bestimmte Verbesserungspotenziale ergeben. Wir haben auch oft das Szenario, dass ein Unternehmen mit mehreren Werken die dezentralen Daten je Werk im Sinne einer ganzheitlichen Arbeitssicherheitsstrategie vereinheitlichen möchte. Zum Beispiel, wenn es um Gefährdungsbeurteilungen geht. Wir überführen die Daten aus den Werken nach einer Abstimmung in eine zentrale Datenbank, aus der dann ein Mehrwert generiert werden kann. Nicht alle Kunden sind sich beim Kauf einer Software darüber im Klaren, dass Sie eigentlich auch interne Prozesse anpassen wollen oder ggf. gar sollten – es also eigentlich hier auch um Changemanagement geht. Auch dies zu erkennen und anzugehen ist dann Teil unseres Services.


Mal angenommen, ich möchte in meinem Unternehmen das Konzept Safety Leadership implementieren. Was ist ihrer Meinung nach der beste Weg, um das zu erreichen – negative oder positive Verstärkung? Und welche Rolle kommt dabei dem Management zu?

Robert Zemke: Es gibt hier nicht den einen besten Weg. Es kommt auf viele Faktoren des bisher gelebten Arbeitsschutzes an. Es gibt sicherlich für beide Wege funktionierende Beispiele aus der Praxis. Ich habe von Kampagnen zur positiven Verstärkung gehört, wo es um Prämien oder eine Art Tombola für Meldungen und Verbesserungen rund um den Arbeitsschutz ging. Ebenso funktionieren manchmal auch abschreckende, negative Verstärkungen. Ich habe auch einmal von der gelebten Policy gehört, dass es Mitarbeitenden ohne gültige Unterweisung nicht mehr gestattet war, bestimmte Bereiche des Unternehmens zu betreten. Erst nach deren Abschluss war der Zutritt wieder gestattet.

Egal, welchen Weg man hier gehen möchte, er sollte zu den Werten des Unternehmens passen. Sehr wichtig ist dabei, dass sich auch Führungskräfte an die verabredeten Regeln halten und mit gutem, besonnenem Beispiel vorangehen. Diesem Führen durch Vorbildfunktion kommt eine zentrale Rolle zu.


Zum Schluss noch einmal ein Blick in die Zukunft. Glauben Sie, dass das Konzept Safety Leadership sich in den kommenden Jahren als Unternehmenskultur stärker verbreiten und etablieren wird oder handelt es sich hierbei doch eher um einen zwischenzeitlichen Hype, der alsbald durch etwas anderes abgelöst bzw. verdrängt wird?

Robert Zemke: Es gibt ja das schöne Sprichwort: „Der Fisch stinkt immer vom Kopf her“. Nur wo es die Geschäftsführung versteht, sich gemeinsam mit den Mitarbeitenden auf bestimmte Arbeitsschutzstandards zu einigen und diese gemeinsam zu leben, wird ein aktives, von allen Ebenen im Unternehmen getragenes und gelebtes Arbeitsschutz-Management möglich sein.

Ich glaube, wir werden diesen Trend in den nächsten Jahren noch weiter begleiten dürfen. Sicherlich auch mit der einen oder anderen Anpassung, je nachdem welchen Herausforderungen sich die Unternehmen im Arbeits- und Gesundheitsschutz ausgesetzt sehen. Wie wir in der Corona-Zeit erleben durften, können neue Herausforderungen auch Innovationen und Verbesserungen mit sich bringen.

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