Safety

Phoenix: Roboterzähmen leicht gemacht

Zum sicheren Betrieb von Industrierobotern

11.06.2021 - Industrieroboter sind wichtige Helfer, die den Menschen schwere oder gefährliche Tätigkeiten abnehmen. Allerdings müssen die Mitarbeiter auch wirkungsvoll vor den Gefährdungen geschützt werden, die von den „Blechkollegen“ ausgehen. Dabei sind ­einige gesetzliche Vorgaben zu beachten. Ein Beitrag von Andras Otto, Competence Center Services, Phoenix Contact Deutschland.

Im deutschen verarbeitenden Gewerbe kommen auf 10.000 Beschäftigte fast 350 Industrieroboter. Damit liegt Deutschland weltweit hinter Singapur, Südkorea und Japan auf dem vierten Platz. Die meisten in der Bundesrepublik installierten Industrieroboter verrichten ihre Arbeit in der Automobilindustrie. Das Einsatzgebiet gestaltet sich hier vielfältig: Schweißen, Kleben, Nieten, Montieren, Lackieren, Verpacken und Palettieren sind nur ein paar Beispiele.

Die Flexibilität dieser Alleskönner darf hinsichtlich der mit ihrer Nutzung verbundenen Gefahrensituationen nicht unterschätzt werden. Industrieroboter weisen komplexe Bewegungsabläufe auf, die in Kombination mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten für den Werker ohne fundiertes Applikationswissen nicht vorhersehbar sind. Daher ist es plausibel, dass sie oftmals hinter einem Schutzzaun platziert werden. Doch welche sicherheitsrelevanten Anforderungen sind bei einer Roboteranwendung zu berücksichtigen?

Einstufung als unvollständige Maschine
Aus Sicht der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG handelt es sich bei Industrierobotern ohne Endeffektor und Applikationsprogramm um unvollständige Maschinen gemäß Artikel 1 g) der Richtlinie. Das bedeutet, dass die Roboter fast einer Maschine entsprechen und für sich genommen ihre bestimmte Anwendung nicht erfüllen. Die unvollständigen Maschinen werden ebenfalls von der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG erfasst und bedingen im Hinblick auf die Bereitstellung auf dem Markt nahezu die gleichen Anforderungen wie das Konformitätsbewertungsverfahren für „vollständige“ Maschinen.

Welche technischen Unterlagen generell für unvollständige Maschinen zu erstellen sind, wird im Artikel VII b) der Maschinenrichtlinie aufgelistet. Anhand dieser Dokumente muss es nachvollziehbar sein, welche Anforderungen der Richtlinie eingehalten und umgesetzt wurden. Die Ansprüche an die technischen Unterlagen für „vollständige“ Maschinen erweisen sich als ähnlich. Als Unterschied sei herausgestellt, dass für unvollständige Maschinen statt einer Konformitätserklärung eine Einbauerklärung und anstelle einer Betriebsanleitung eine Montageanleitung zur Verfügung zu stellen ist.

Damit ein als unvollständige Maschine deklarierter Industrieroboter rechtskonform betrieben werden kann, muss er sicher in einer Applikation installiert werden. Der Roboter wird also für eine spezielle Anwendung mit dem notwendigen Endeffektor und Applikationsprogramm versehen und dann beispielsweise in einer Roboterzelle platziert.

Viele Faktoren sind zur beachten
Für eine sichere Roboteranwendung gilt es in der Risikobeurteilung eine Vielzahl von Faktoren zu beachten. Die Art der Applikation, Zugangsmöglichkeiten, Betriebsarten, Anhalteweg und -zeit des Roboters seien als einige Beispiele angeführt. Letztlich bildet die Risikobeurteilung die Grundlage der risikomindernden Maßnahmen. Sie wird nach der Drei-Stufen-Methode durchgeführt. In der ersten Stufe findet die Prüfung statt, ob die Gefahrenstellen und das aus ihnen resultierende Risiko konstruktiv beseitigt werden können. Erst danach kommen die technischen Schutzmaßnahmen zum Einsatz und abschließend werden die Benutzerhinweise zu möglichen Restrisiken formuliert.

Im Gegensatz zu einem kollaborierenden Roboter (Cobot), der sich oft ohne zusätzliche trennende Schutzmaßnahmen betreiben lässt, gibt es bei einer klassischen Industrieroboter-Anwendung immer weitere Schutzmaßnahmen, die den Zugang zum Roboter verhindern oder detektieren. Eine Ausnahme stellen dabei bestimmte Betriebsarten wie der Einrichtbetrieb dar. Hier kann es erforderlich sein, den Roboter bei geöffneter Schutztür zu steuern. Ein solcher Sonderfall muss ebenso in der Risikobeurteilung betrachtet und entsprechende Maßnahmen für den sicheren Einrichtbetrieb abgeleitet werden. Als ein geeigneter Ansatz bietet es sich an, dass sich die Betriebsart Einrichten lediglich durch geschultes Personal sowie mit reduzierter Geschwindigkeit und Zustimmungseinrichtung realisieren lässt.

Automatikbetrieb mit trennender Schutzeinrichtung
Im Automatikbetrieb wird in den meisten Roboterapplikationen die trennende Schutzeinrichtung verwendet. Welche Beschaffenheit sie erfüllen sollte, ist in der EN ISO 14120 aufgeführt. Die Norm beschäftigt sich mit der Gestaltung und dem Bau von feststehenden und beweglichen trennenden Schutzeinrichtungen. Die bewegliche trennende Schutzeinrichtung wird umgangssprachlich als Schutztür bezeichnet.

Schutztüren an Roboteranwendungen erweisen sich nur in Verbindung mit einer Verriegelungseinrichtung als sinnvoll. Die Verriegelungseinrichtung – auch Sicherheitsschalter genannt – stellt fest, ob die Schutztür geschlossen oder geöffnet ist. Öffnet ein Mitarbeiter die Schutztür, wird der Roboter über die vom Hersteller zur Verfügung gestellten Schnittstellen stillgesetzt. Dieser Vorgang kann je nach Roboterapplikation im Bereich von Millisekunden oder Sekunden liegen. Sofern die Zutrittszeit des Werkers kürzer als das Stillsetzen der gefahrbringenden Bewegung am Roboter ist, muss eine zusätzliche Maßnahme umgesetzt werden. In diesem Fall fordert die Norm EN ISO 14119 eine Zuhaltung, also einen Mechanismus, der die Schutztür so lange geschlossen hält, bis die gefahrbringende Bewegung stoppt.

Wird anstelle einer Schutztür eine optoelektrische Zugangsabsicherung – beispielsweise ein Sicherheitslichtgitter oder -lichtvorhang – installiert, erfolgt die Ermittlung des notwendigen Sicherheitsabstands gemäß EN ISO 13855 wie bei einer Schutztür ohne Zuhaltung. Dazu bedarf es der Ermittlung der Nachlaufzeit des gesamten Systems – vom Bedämpfen des Sicherheitslichtgitters oder -vorhangs bis zum Zustand, an dem die Roboterbewegungen nicht mehr gefährlich sind. Dies wird oftmals mit dem Stillstand des Roboters gleichgesetzt. Eine von geschultem Fachpersonal durchgeführte Nachlaufzeitmessung liefert zuverlässige Werte, mit denen sich der benötigte Sicherheitsabstand errechnen lässt.

Maßnahmen bei eingeschränktem Bewegungsraum
Neben der Zugangsabsicherung kommt der Größe der Roboterzelle ebenfalls eine entscheidende Bedeutung zu. In der Praxis werden Roboterzellen meist lediglich an den erforderlichen Bewegungsablauf der Roboteranwendung angepasst und nicht an den möglichen Bewegungsradius des Roboters. Für einen eingeschränkten Bewegungsraum gilt es daher entsprechende Maßnahmen zu treffen. Denn in der Realität hat sich gezeigt, dass der Schutzzaun den Industrieroboter je nach dessen Größe nur bedingt aufhalten kann. Deshalb sind bei einem eingeschränkten Bewegungsraum des Roboters weitere Maßnahmen zum Schutz von Personen, die sich außerhalb der Roboterzelle befinden, zu realisieren. Dabei kann es sich zum Beispiel um mechanische Endanschläge an der Hauptachse oder eine geeignete Festigkeit des Schutzzaunes handeln. Zudem gibt es die Möglichkeit der elektronischen Achseinschränkung durch eine sicherheitsgerichtete Robotersteuerung.

Die zuvor genannten Sicherheitsanforderungen werden durch prozessbedingte Gefahren ergänzt, sodass zusätzliche Schutzmaßnahmen notwendig sind. Beim Schweißvorgang können dies beispielsweise der Spritz- und Blendschutz sowie die Absaugung sein. Erst wenn alle Risiken auf ein vertretbares Maß reduziert worden sind und die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen im Rahmen der Validierung nachgewiesen wurde, kommt der Hersteller der Roboteranwendung dem Weg hin zu einer richtlinienkonformen Roboterapplikation einen großen Schritt näher. Im Rahmen des Dienstleistungsportfolios von Phoenix Contact hat sich herausgestellt, dass eine frühzeitige Berücksichtigung der Sicherheitsanforderungen bei der Auslegung der Roboteranwendung hohe Kosten verhindern kann.

Spezialist für Maschinenanalyse und -inspektion

Das deutsche Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Maschinenbetreiber dazu, Maßnahmen für die Sicherheit und Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu treffen. Gemäß der geltenden Betriebssicherheitsverordnung stellt der aktuelle Stand der Technik im Bereich funktionale Sicherheit zudem einen wesentlichen Bestandteil der wiederkehrenden Prüfungen dar. Um die Maschinenbetreiber bei der Einhaltung dieser Vorgaben zu unterstützen, verschaffen sich die Mitarbeiter des Competence Center Services von Phoenix Contact vor Ort einen Überblick über den Status Quo.

Im Rahmen der Maschineninspektion analysieren die Safety-Experten den derzeitigen Sicherheitsstatus des Maschinenparks oder der einzelnen Maschine. Dies geschieht auf der Grundlage vorhandener Daten und technischer Unterlagen. In einem abschließenden Inspektionsbericht werden aufgedeckte Mängel priorisiert und entsprechende Lösungsansätze beschrieben. Somit bekommt der Betreiber einen sicherheitstechnischen Überblick über den gesamten Maschinenpark. Als ganzheitlicher Servicepartner unterstützt Phoenix Contact seine Kunden auch bei der anschließenden Planung und Umsetzung der Maßnahmen auf dem Weg zu mehr Sicherheit.

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