Safety

Phoenix Contact: Profisafe-Übertragung über 5G-Netze

20.09.2023 - Höchste Zuverlässigkeit bei minimaler Latenz ist nur ein Aspekt, mit dem 5G lockt. ­Insbesondere die Safety-Übertragung über ein solches Mobilfunknetz erweist sich als vieldiskutiertes Thema. Die nächste Generation des Standards verspricht nun einen großen Schritt für den drahtlosen industriellen Datenaustausch. Doch werden die Anforderungen der Industrieanwender tatsächlich erfüllt oder ist dies noch Wunschdenken?

Historisch gesehen handelt es sich bei der Mobilfunktechnik um eine reine Konsumenten-Technologie zur Kommunikation in öffentlichen Netzen, die sich auf die Telefonie, den SMS-Versand und später die Datenweiterleitung fokussiert. Bisherige Applikationen für die Fernwartung von Maschinen oder die Anbindung entlegener Prozessteile an ein Leitsystem mussten daher ohne Garantien für Latenz, Datendurchsatz oder Netzabdeckung auskommen.

Im neuen Standard 5G werden jetzt erstmalig die Interessen der Industrie in der Spezifikation berücksichtigt. Neben der klassischen Fokussierung auf hohen Datendurchsatz (Enhanced Mobile Broadband, eMBB) umfasst die Standardisierung ebenfalls Anforderungen des Industrial Internet of Things (IIoT) – Stichwort: Massive Machine Type Communications (mMTC) – und der zeitkritischen Kommunikation (Ultra Reliable and Low Latency Communications, uRLLC). Diese Funktionen werden in mehreren Schritten (Releases) durch die Standardisierungsorganisation Third Generation Partnership Project (3GPP) niedergeschrieben.

Die Veröffentlichung der ersten 5G-Spezifikation (Release 15) mit dem Schwerpunkt auf eMBB fand Ende 2018 statt. Es folgten Mitte 2020 Release 16 mit dem Hauptaugenmerk auf mMTC und Mitte 2022 Release 17, das sich mit uRLLC beschäftigt. Die aktuell diskutierten Funktionen sollen final 2024 im Release 18 zur Verfügung stehen. Dabei gilt es zu bedenken, dass ab der Veröffentlichung der Releases noch die Zeiten der Halbleiter-, Netztechnik- und Produktentwicklungen eingerechnet werden müssen, die mit mindestens zwei Jahren zu veranschlagen sind. Die derzeit realisierten Projekte und die dort eingesetzte Hardware basieren also auf den Funktionen des Releases 15 und gegebenenfalls bereits 16.


Struktur von privaten Mobilfunknetzen

Abgesehen von den funktionalen Neuheiten der fünften Mobilfunkgeneration gibt es eine weitere Neuerung: den Aufbau von privaten Mobilfunknetzen. Solche Netze haben die gleiche Struktur wie die öffentlichen Netze. Die Endgeräte (User Equipment) kommunizieren drahtlos mit den Funktürmen (Base Station). In privaten Netzwerken sind das Indoor- oder Outdoor-Antennen, die eine ähnliche Bauform wie WLAN Access Points aufweisen. Die Base Stations verbinden sich wiederum per Richtfunk oder über Kupfer-/Glasfaserleitungen (Backhaul) mit dem zentralen Rechenzentrum (Network Core). Der Network Core besteht in privaten Netzen aus lokalem 19-Zoll-Equipment im Serverraum. Er fungiert als zentrales Kommunikationselement des Netzes und ist für das Routing der Nutzdaten zu anderen Funkteilnehmern oder deren Weiterleitung ins Internet sowie das Management und die Authentifizierung der einzelnen Verbindungen zuständig. Als wichtig erweist sich, dass die Datenübertragung in einem auf dem Betriebsgelände befindlichen privaten Netz erfolgt. Genau dieser Punkt sorgt für eine zuverlässige Kommunikation mit geringer Latenz und hoher Ausfallsicherheit, da die Übertragungswege kurz sind und der Betreiber die volle Hoheit über das Netz hat.


Niedriger Verkabelungsaufwand in weitläufigen Netzen

Ein privates 5G-Netz verwendet ein lizensiertes Frequenzband. Das hebt die Technologie von lizenzfreien Lösungen wie WLAN ab. Aufgrund der alleinigen Nutzung lässt sich das Funkspektrum deutlich besser kontrollieren, die Technologie effizienter einsetzen und die Kommunikationsteilnehmer besser priorisieren. Beispielsweise gibt es keine limitierenden Rahmenbedingungen, die die Koexistenz mit weiteren Funkteilnehmern im lizenzfreien Spektrum sicherstellen sollen. Dennis Lüttge, Mitarbeiter im Product Management Communication Interfaces bei der Phoenix Contact Electronics GmbH in Bad Pyrmont veranschaulicht das Problem im lizenzfreien Spektrum folgendermaßen: „Funk ist wie ein Festsaal voller Menschen. Wenn sich alle in sämtliche Richtungen unterhalten, erweist sich die Verständigung als schwierig.“

Anders im lizensierten Frequenzband eines privaten 5G-Netzes: Hier kann 5G insbesondere bei einer großen Anzahl an Funkteilnehmern auf kleiner Fläche seinen Vorteil ausspielen. Darüber hinaus erlaubt der Mobilfunk erheblich größere Zellen in Outdoor-Applikationen. Geht es somit um die Abdeckung von Flugfeldern, Häfen oder großen Prozessanlagen, lässt sich dies mit deutlich weniger Base Stations erreichen, was den Verkabelungsaufwand gegenüber klassischen Funklösungen signifikant reduziert.

Zudem bedient 5G eine breite Zahl an Applikationen über nur eine Infrastruktur. Mit der Ausrichtung auf eMBB sind Videoanwendungen, die Fernwartung von Maschinen oder zukunftsweisende AR-Lösungen (Augmented Reality) umsetzbar. mMTC kommt speziell in der Logistik oder dem Facility Management am Standort zum Tragen. Mit dieser Ausprägung lassen sich Transporthilfsmittel überwachen oder Verbrauchswerte wie Wasser, Strom oder Gas energiesparend übermitteln.

Das Hauptinteresse der Anwender in der Industrieautomation und Intralogistik liegt jedoch im Bereich der uRLLC-Funktionen für die Feldkommunikation: Roboter vermeiden die mechanische Belastung von Kabelschleppen. Anlagenteile können neu angeordnet werden, ohne die Kommunikationsverkabelung anzupassen. Ferner tauschen Automated Guided Vehicles (AGV) Daten untereinander oder mit stationären Sensoren aus. Es ist sogar denkbar, die gesamte Intelligenz dieser Teilnehmer in ein zentrales Serversystem auszugliedern, um so Equipment-Kosten zu senken und die Skalierbarkeit zu erhöhen. 5G verbindet folglich viele Anwendungen in lediglich einer drahtlosen Infrastruktur, und durch den niedrigeren Verkabelungsaufwand in weitläufigen Netzen ist der Return-on-Invest (ROI) schnell erzielt.


Schnelle und zuverlässige Weiterleitung kleiner Datenpakete

In den vorangegangenen Beispielen dreht es sich unter anderem um eine sichere Datenübertragung von einem AGV zu einem stationären Safety-Sensor oder anderen AGVs. Ist dies möglich, muss sich das AGV nicht mehr allein auf die auf ihm installierte Sensorik verlassen, mit der es nur auf Sicht fahren kann. Durch zusätzliche Informationen aus externen Quellen kann das AGV Gefahrenbereiche jetzt mit voller Geschwindigkeit durchqueren, ohne dass es zu einer Kollision mit einer hinter einer Kurve befindlichen Person oder einem Zusammenstoß mit weiteren AGVs auf einer Kreuzung kommt. Die Grundlage hierfür bildet die sichere Feldbuskommunikation zwischen der Steuerung des AGVs und anderen Teilnehmern über das Profisafe-Protokoll. Bei Profisafe handelt es sich um ein Sicherheitsprofil für den Profinet-Feldbus.

Als besonders kritisch für die Funkübertragung zeigen sich die kleinen Pakete der zyklischen I/O-Daten, die in sehr kurzen Abständen mit hoher Zuverlässigkeit weitergeleitet werden müssen. Eine Zeitüberschreitung würde zu einem Not-Halt führen und die Mitarbeitenden müssten das AGV manuell wieder freischalten. Außerdem basiert diese Kommunikation auf dem Layer 2 – also der Sicherungsschicht – des OSI-Referenzmodells in einem geschlossenen Netzwerk und kann nicht geroutet werden. Der Datenaustausch über ein aktuelles 5G-Netz erfordert allerdings ein Routing, weil das Netz auf dem Layer 3 arbeitet und AGVs, Roboterzellen oder das Produktionsnetz ein eigenes Netzwerk darstellen. Deshalb muss die Datenübertragung über einen Layer-2-Tunnel erfolgen, der das Netz des AGVs mit dem Netz eines weiteren AGVs im Mobilfunknetz oder verkabelten Produktionsnetz verbindet. Dabei sollte der Tunnel möglichst ressourcensparend sein, sodass sich kein Flaschenhals für die Kommunikation bildet.


Gegenwärtige Herausforderungen und Entwicklungen

5G verspricht einen großen Schritt für den drahtlosen industriellen Datenaustausch. Es gilt jedoch noch einige Herausforderungen zu lösen, bis sich 5G als Stand der Technik bezeichnen darf. Die verfügbare Hardware gründet sich bisher auf den Releases 15 und 16 und eignet sich somit noch nicht für die uRLLC-Kommunikation. Derzeitige Projekte präsentieren bereits die Umsetzbarkeit der Profisafe-Übertragung zwischen verschiedenen Teilnehmern mit niedriger Latenz über einen Layer-2-Tunnel. Allerdings ist die Zuverlässigkeit für einen dauerhaften Betrieb in operativen Projekten bislang nicht sichergestellt. Insbesondere bei der Profisafe-Kommunikation in einer AGV-Anwendung resultieren Latenzspitzen häufig in Unterbrechungen, die einen Not-Halt nach sich ziehen. Zur Lösung dieser Aufgabe bedarf es einer Hardware, die auf späteren Releases basiert und sich zurzeit in der Entwicklung befindet.

Die generellen Kosten der 5G-Technologie werden über die nächsten Jahre sukzessive fallen. Gleichzeitig steigt das Angebot kleinerer oder größerer privater 5G-Netzwerke für den maßgeschneiderten Einsatz in Produktivumgebungen. Die aufgezeigten Herausforderungen stellen dabei keineswegs einen Show Stopper für die Technologie dar. Aktuelle Projekte verdeutlichen schon das Potenzial von 5G in der industriellen Kommunikation und befeuern die Neugier auf die auf den nächsten Releases gründende Hardware der kommenden Jahre.

Router für jegliche Mobilfunkapplikationen

Netzseitig sind private Mobilfunknetze ein sich komplett neu bildender Markt. Abgesehen von der Implementierung der neuen 5G-Funktechnik erfordert die Endgeräteseite keine großen Anpassungen. Das Endgerät verbindet sich zu einem öffentlichen genauso wie zu einem privaten Netz, solange die benutzten Frequenzen unterstützt werden. Der TC Router 5004T-5G EU von Phoenix Contact arbeitet unter anderem auf den europäischen 5G-Frequenzen der öffentlichen Netze und dem Band n78, das in Deutschland für den Aufbau privater Netze reserviert ist. Mit einem Fokus auf hohe Datenraten und einer leistungsstarken Prozessorplattform in einem industriellen Formfaktor lässt sich der Router daher in jeglichen Mobilfunkapplikationen einsetzen. Er unterstützt zudem den Aufbau eines GRETAP-Tunnels. Diese Funktion erlaubt es dem Gerät, eine einfach zu konfigurierende Punkt-zu-Punkt-Verbindung auf dem Layer 2 zu einem anderen Netz zu initiieren, welche für die Übertragung von Profisafe benötigt wird und bereits erfolgreich getestet worden ist.

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