Security

Nachhaltig geplante Videosicherheitsanlage (VSS) – Teil 2

19.09.2022 - Das Videosicherheitssystem, Teil 2: Wie die Planung und Inbetriebnahme eines Videosicherheitssystems auf nachhaltige Weise gelingt.

Das Videosicherheitssystem ist Thema eines zweiteiligen Beitrags von Sascha Puppel (öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Sicherheits­technik und Sicherheitskonzepte u. a. für Museen, Kritische Infrastrukturen, Störfallbetriebe, Medienanstalten, Behörden) und Jochen Sauer, Architect & Engineering Manager bei Axis Communications für GIT SICHERHEIT. Der erste Teil (GIT SICHERHEIT 7-8/2022, S. 74) ging der Frage nach, wie sich systemische Fehler beim Sicherheitskonzept vermeiden lassen. Ein Ablaufplan zeigt, wie die Planung und Inbetriebnahme eines Videosicherheitssystem auf nachhaltige Weise gelingt.

Das A und O für ein nachhaltiges Video Security System (VSS) ist eine bedarfsorientierte Planung. Ob Bauherr, Hersteller oder Betreiber — nur wenn in der Planung die Anforderungen und Bedarfe aller an einem VSS beteiligten Gewerke berücksichtigt werden, kann am Ende Qualität, Funktionalität und Effizienz sichergestellt werden. Bewährte Projektphasen führen durch den Prozess und helfen bei einer strukturierten, zielgerichteten Umsetzung. Nachfolgend werden die einzelnen Phasen anhand eines fiktiven Projekts Schritt für Schritt beschrieben.

1. Konzept mit Risikoanalyse und Risikomatrix

Der erste Schritt ist immer das Konzept für die Videosicherheitsanlage. Um ein besseres Verständnis für ihre Zweckbestimmung zu schaffen, sollte noch vor dem ersten Entwurf zunächst eine Grundlagenermittlung durchgeführt werden. Diese mündet in eine Bedrohungsabschätzung und Risikoanalyse (siehe Bild 1). Die Risikoanalyse wird in einem gesamtheitlichen Audit mit allen Projektbeteiligten unter Anleitung eines qualifizierten Risk Managers erarbeitet. Als grundlegende Voraussetzung für eine professionelles und individuelles VSS ist eine Gefahren- und Risikoanalyse nach ISO 31000 (siehe Bild 2) zu empfehlen. Diese umfasst eine Bedrohungs- und Täterprofilanalyse wie auch eine Schutzzieldefinition, Schwachstellenanalyse und Risikobewertung. Daraus können anschließend die Betriebsanforderungen und Sicherungsmaßnahmen abgeleitet werden.

Die identifizierten Bedrohungen und Risiken für das jeweilige Objekt werden bezüglich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und ihrer Auswirkungen in einer Risikomatrix dargestellt und bewertet. Das VSS sollte ­letztendlich so entworfen werden, dass die beurteilten Risiken und deren Eintrittswahrscheinlichkeit reduziert werden. Mithilfe der Risikomatrix können die Risiken mittels des Eisenhower-Prinzips (siehe Bild 3) transparent priorisiert werden und Maßnahmen zielgerichtet veranlasst. Die eingesetzten Maßnahmen können dabei nicht nur das Risiko minimieren. Sie können unter Umständen auch messbare Kosten (wie Versicherungsprämien) senken, den Personaleinsatz reduzieren oder Betriebsabläufe optimieren.

2. Risikograde

Die Ergebnisse der Risikobewertung sollten verwendet werden, um die Anforderungen des VSS und seiner Komponenten zu ermitteln. Wenn es zweckmäßig ist, können den Komponenten, Teilsystemen und Funktionen des VSS dazu auch Risikograde, also differenzierte Grade für die speziellen Anforderungen aus der DIN EN 62676-4, bspw. die Richtlinien für Blitz- und Überspannungsschutz, zugeordnet werden. Die Zuordnung muss in den Betriebsanforderungen oder im Vorschlag zum Anlagenentwurf dokumentiert werden.

3. Standortbesichtigung

Eine Standortbesichtigung hilft allen Projektbeteiligten, sich mit den Besonderheiten des Standortes vertraut zu machen. Dazu zählen der vorhandene Perimeter, Zu- und Abgänge, Installationsorte, vorhandene Beleuchtung, Umwelt- und Witterungsbedingungen wie auch Schnittstellen zu anderen Systemen, zum Beispiel zu Zugangskontrollen oder Einbruchmeldeanlagen.

4. Lageplan

Die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Standortbesichtigung werden dann in einem Lageplan- und Anlagenentwurf erfasst. Für die nachträgliche Bewertung ist entscheidend, dass in diesem Entwurf auch der Blickwinkel in die Szene (mittlere Sichtachse) zu erkennen ist. Bei der Aufgabenstellung „Identifizieren“ darf zum Beispiel ein maximaler Winkel von 22,5 Grad nicht überschritten werden.

5. Prüfplan

Der Prüfplan legt dann die zuvor definierten Betriebsanforderungen an das VSS fest. Dazu zählen zum Beispiel grundlegende Ziele wie Sabotageschutz, Überwachungsbeschränkungen, Systemverfügbarkeit oder Bildqualitäten. Die Aufgabe des Prüfplans ist es, den Nachweis für die messbare Umsetzung der Betriebsanforderungen an das VSS zu erbringen. Der Prüfplan ist außerdem die Grundlage für die turnusmäßig wiederkehrenden Inspektionen.

6. Einrichtung, Inbetriebnahme und Übergabe

Die Risikobewertung, die Betriebsanforderung und der Anlagenentwurf (einschließlich des Lageplans) bilden die Grundlage für die Werk- und Montageplanung zur VSS-Errichtung. Nach Abschluss der Errichtung müssen, wie vorher im Prüfplan festgelegt, Inbetriebnahme-Prüfungen entsprechend der Betriebsanforderungen durchgeführt werden. Das ist die Voraussetzung für den Gefahrenübergang der Videosicherheitsanlage vom Fachplaner und Errichter an den Betreiber.

7. Dokumentation

Jede Dokumentation ist ein individuelles Spiegelbild der Videosicherheitsanlage und kann in ihrer Ausführlichkeit variieren. Die Dokumentation sollte während der gesamten Betriebsphase den aktuellen Stand des VSS widerspiegeln. Dies setzt voraus, dass sie regelmäßig aktualisiert wird. Dazu zählen beispielsweise Umgestaltungen wie die Veränderung von Kamerablickwinkeln zur Darstellung der aktuellen Szene wie auch datenschutzrelevante Ausblendungen oder Verpixelungen und maskierte ­Szenen. Die vollständige Dokumentation über alle Abstimmungen etc. ist insbesondere ­haftungsrechtlich sehr wichtig.

Folgende Punkte gehören zu den wesentlichen Bestandteilen einer Dokumentation: Sicherheitskonzept, Betriebsanforderungen und Zweckbindung, Ausführungsunterlagen, Lageplan, Blockschaltbild, Schnittstellenbeschreibung, Kamera-Auditbogen, Benutzer- und Rechte-Management, Maßnahmen zur IT-Sicherheit, Wartungsanweisungen, Übergabeprotokoll, Einweisung und Schulung der Nutzer, Bedienungsanleitung, Ansprechpartner und Zuständigkeiten sowie das Betriebsbuch. Der BHE bietet hier zahlreiche Hilfestellungen und Dokumentations-Unterlagen zum Download an.

Obige Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und muss nicht zwingend in Papierform erfolgen. Bei der Zusammenstellung ist zudem darauf zu achten, dass vertrauliche und nicht vertrauliche Inhalte getrennt dokumentiert werden. Im nicht vertraulichen Teil sollte ein Hinweis auf die Existenz und den möglichen Zugriff auf die vertraulichen Inhalte erfolgen. Letztere dürfen jedoch nur Personen zugänglich gemacht werden, welche sie für die Durchführung ihrer Aufgaben zwingend benötigen.

8. Betrieb, Begehung und Betreiberpflichten

Um eine störungsfreie und reibungslose Betriebs- und Nutzungsphase zu realisieren, ist es erforderlich, sich mit den jeweiligen Betreiberpflichten vertraut zu machen. Dafür sind turnusmäßige Begehungen, wie sie bei Gefahrenmeldeanlagen gemäß DIN VDE 0833-1 gefordert sind, zu empfehlen. Die Begehung dient unter anderem der Feststellung von baulichen und nutzungstechnischen Veränderungen, die die Anlage nicht automatisch erkennen kann. Das Intervall für diese Begehungen ist vom Risikograd der Anlage abhängig.

Im Rahmen der Begehungen kann zudem die Zweckbindung im Sinne der DSGVO in Verbindung mit dem Sicherheitskonzept und der Erfüllung der Schutzziele überprüft werden. Ändert sich der Zweck der Anlage, entfällt ggf. der Grund für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten im Videosicherheitssystem. Die Anlage muss dann ggf. entsprechend zurück- oder umgebaut werden.

Ein Beispiel: Das Tor eines Zauns wird dauerhaft verschlossen und steht nicht mehr als Zutritt zur Verfügung. Der Teil des VSS, der bisher die Aufgabe der Zugangsüberwachung am Tor erfüllt hat, muss daher nun demontiert und der Perimeterschutz entsprechend angepasst werden. Zudem muss der Teil der Zweckbindung im Sicherheitskonzept und den Betriebsanforderungen entsprechend überarbeitet werden.

Neben den Einweisungen und Schulungen im Rahmen der Übergabe der Anlage, sollten zudem regelmäßige Trainings für die Nutzer durchgeführt und dokumentiert werden — insbesondere Awareness-Schulungen.

Fazit: Ganzheitliche Planung ist entscheidend

Werden all diese Hinweise und die jeweiligen Projektphasen berücksichtigt, kann eine Vielzahl an Fehlern, Haftungsrisiken und Sanierungskosten vermieden werden. Das Videosicherheitssystem wird auf diese Weise nachhaltig geplant und in Betrieb genommen. Der Schlüssel für eine erfolgreiche Betriebsphase liegt in der Planungsphase. Alle Fehler und Unzulänglichkeiten, die hier entstehen, potenzieren sich in der Betriebsphase und machen einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlage unmöglich.

Für eine ganzheitliche Planung braucht es einen Gesamtüberblick über das jeweilige Projekt und einen interdisziplinären Austausch zwischen allen Projektbeteiligten. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist Vertrauen. Nur wenn alle Gewerke von Anfang an Teil einer Planungsgemeinschaft sind, ist die Gewähr für einen nachhaltigen Planungs- und Bauprozess sowie für einen langjährigen und korrekten Betrieb von Sicherheitssystemen gegeben.

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