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LKA-Chef Andreas Stenger: Kriminalist aus Überzeugung

01.06.2023 - Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, im Gespräch mit GIT SICHERHEIT.

Das Landeskriminalamt ist das operative und strategische Kompetenz­zentrum in der Kriminalitätsbekämpfung – mit rund 1.350 Beschäftigten. Zu den Zuständigkeiten gehören unter anderem die Ermittlungen bei politisch motivierten Straftaten und Fällen von besonderer Bedeutung im Bereich der Organisierten Kriminalität, der Geldwäsche, des Rauschgift­handels, der organisierten Schleusungskriminalität, der Wirtschafts- und Waffenkriminalität sowie bei schweren Umweltdelikten. Ein weiterer Ermittlungsschwerpunkt ist die Bekämpfung der Cyberkriminalität. GIT SICHERHEIT sprach mit dem amtierenden Präsidenten des LKA Baden-Württemberg Andreas Stenger.


GIT SICHERHEIT: Herr Stenger, schon ein flüchtiges Überfliegen Ihrer Biografie macht deutlich: Sie haben vermutlich schon alles gesehen, was man im Polizeidienst so erleben kann. Fasziniert Sie die Kriminalität – oder ist, war es etwas anderes, das Sie 1981 zum Start Ihrer Karriere bei der Polizei bewogen hat?

Andreas Stenger: Die Gründe sind vielfältig. Ich wusste schon im Kindesalter, dass ich später zur Polizei gehen will. Ich bin auch aus tiefer Überzeugung in den Polizeidienst eingetreten. Ich sah es als meine Berufung an, für Sicherheit, Recht und Ordnung einzustehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Als Polizistin oder Polizist ist man zudem immer Teil eines Teams. Nicht nur in heiklen Einsatzsituationen gilt: Kollegialität, Vertrauen, Gemeinschaftssinn und Teamgeist sind entscheidend. Zudem bietet der Polizeiberuf viele Möglichkeiten, sich zu verwirklichen. Egal, ob bei der Schutz- oder Kriminalpolizei: Es ist ein anspruchsvoller, krisensicherer, abwechslungsreicher und vor allem sinnstiftender Beruf mit höchster Verantwortung. Für Jobdenken ist kein Raum, Beruf kommt von Berufung.

Ich habe viele Stationen in der Polizei – vor allem bei der Kripo – absolviert und möchte keine dieser Stationen missen. Ob als einfacher Ermittler, Inspektions- oder Soko-Leiter. Das umfassende Portfolio und die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Kriminalpolizei haben mich immer begeistert. Aber auch die Leitung des Polizeipräsidiums Mannheim als Präsident war eine wertvolle Erfahrung und große Herausforderung. Als das Amt des LKA-Präsidenten für mich in Frage kam, musste ich aber nicht lange überlegen. Das LKA ist das operative und strategische Kompetenzzentrum in der Kriminalitätsbekämpfung. Hier arbeiten rund 1.350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Kriminalistinnen und Kriminalisten ermitteln Hand in Hand mit vielen Spezialisten aus den Bereichen Wissenschaft, Forensik, Cybercrime, und vielen weiteren Fachrichtungen.

Das gewährleistet eine interdisziplinäre Perspektive und ganzheitlich Sichtweise bei hochkomplexen Aufgaben. Die Digitalisierung schreitet voran. Wir nutzen beispielsweise Künstliche Intelligenz und können Tatorte dreidimensional digital nachbauen und uns in ihnen virtuell bewegen. High-Tech-Entwicklungen und hochkomplexe technische Systeme im Einsatz für die Kriminalitätsbekämpfung faszinieren mich und sind Gründe für meine große Leidenschaft für die Arbeit des LKA.


Bevor Sie Präsident des LKA Baden-Württemberg wurden, waren Sie unter anderem für das Kriminaltechnischen Institut tätig – das ist eine von sieben Abteilungen des LKA. 2010 wurden Sie dessen stellvertretender Leiter und 2014 schließlich Leiter. Das heißt auch, Sie haben zum Beispiel intime Kenntnisse von Schusswaffen und Ballistik?

Andreas Stenger: Die kriminalistische Beweisführung ist bei der Verbrechensbekämpfung von enormer Bedeutung. Der wissenschaftliche und technische Fortschritt ermöglicht uns heute in vielen Bereichen Untersuchungen, die noch vor Jahren undenkbar schienen. Mit modernster Technik und hochqualifiziertem Personal unterstützt unser Kriminaltechnische Institut die Aufklärungsarbeit in der Verbrechensbekämpfung und Strafverfolgung. Stimmen die Spuren am Tatort mit den Werkzeugen und Schuhen des Verdächtigen überein? Stammt der tödliche Schuss aus der sichergestellten Waffe? Kann der Tatablauf mit Fokus auf die materiellen und objektiven Spuren so gewesen sein, wie ihn die Zeuginnen und Zeugen schildern? Wenn Sie die Ballistik ansprechen, wissen Sie bestimmt, dass beim Verfeuern einer Schusswaffe signifikante und individualcharakteristische Spuren der verwendeten Waffe – beispielsweise auf Hülsen und Geschossen – zurückbleiben. Das ermöglicht uns, die Waffe individuell zuzuordnen und Straftaten zweifelsfrei aufzuklären. Aber das ist nur eine von vielen forensischen Disziplinen, die uns objektive Beweise liefern und oftmals den Ermittlungserfolg überhaupt erst ermöglichen.


Dann lassen Sie uns einmal stärker in die Gegenwart wechseln: Sie sind nach einer recht kurzen Station als Leiter des Polizeipräsidiums Mannheim 2021 zum Leiter des LKA Baden-Württembergs ernannt worden – sprich, zum Polizeipräsidenten des Landes und damit Chef von 1.352 Beschäftigten. Wie verstehen Sie Ihre Aufgabe, was ist Ihnen besonders wichtig?

Andreas Stenger: Für mich ist klar, dass das Landeskriminalamt Baden-Württemberg die zentrale Dienststelle für besondere Aufgaben bei der Kriminalitätsbekämpfung in Baden-Württemberg ist. Wir führen beispielsweise landesweit  bei politisch motivierten Straftaten und in Fällen von besonderer Bedeutung im Bereich der Organisierten Kriminalität, der Geldwäsche, des Rauschgifthandels, der organisierten Schleusungskriminalität, der Wirtschafts- und Waffenkriminalität sowie bei schweren Umweltdelikten die Ermittlungen. Ein weiterer Ermittlungsschwerpunkt ist die Bekämpfung der Cyberkriminalität. Wir sind hier das Kompetenzzentrum, das mit umfassendem Service, viel Know-how und besonderem Equipment die herausragenden Kriminalfälle selbst übernimmt. Mir persönlich ist unsere operative Bereitschaft – ganz im Sinne unseres Claims: Bereit für Sicherheit – besonders wichtig. Rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr leisten wir mit hohem Engagement einen wesentlichen Beitrag für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.


Wie vielfältig die Aufgaben des LKA sind, zeigt Ihr Organigramm – eine wahre Bleiwüste von Zuständigkeiten ist hier verzeichnet: Picken wir mal den sehr wichtigen Bereich Cybercrime heraus, den Sie gerade schon erwähnt haben. Die Statistik diesbezüglich hat sich ja in den letzten Jahren in eine recht unerfreuliche Richtung entwickelt: Internet- und Computerkriminalität haben seit 2017 Jahr für Jahr deutlich zugenommen. Wie blicken Sie auf diese Zahlen?

Andreas Stenger:
Die zunehmende Abhängigkeit von der digitalen Welt in allen Bereich des Lebens und die weltweite Datenvernetzung bieten fortlaufend neue Angriffsmöglichkeiten und Ziele für Cyberkriminelle. Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2021 weist bei der Cybercrime 10.744 Fälle aus. Das ist ein sattes Plus gegenüber dem Vorjahr von fast fünf Prozent. Dabei wissen wir, dass nur ein Bruchteil der tatsächlich verübten Straftaten angezeigt und somit statistisch erfasst wird. Das Dunkelfeld ist extrem hoch. Die prosperierende Cyberkriminaltät gehört unbestritten zu unseren größten Herausforderungen. Als LKA haben wir darauf frühzeitig reagiert und unsere Organisation angepasst. Bereits im Jahr 2012 haben wir eine eigene Abteilung eingerichtet, Zuständigkeiten klar geregelt, die technische Ausstattung optimiert und die Ausbildung angepasst. Wir gewinnen gezielt IT-Expertinnen und Experten für die Polizei und setzen auch hier auf Interdisziplinarität. Kurzum: Wir stärken kontinuierlich unsere personellen und materiellen Ressourcen, um zukunftsfähig aufgestellt zu sein.


Welche Tendenz sehen Sie hier mittelfristig?

Andreas Stenger: Wir rechnen damit, dass sich der Trend steigender Fallzahlen in der Cyberkriminalität weiter fortsetzt. Insbesondere durch die Digitalisierung bieten Behörden und Unternehmen zwangsläufig Angriffsflächen. Anders gesagt: Die Abwehr von Cyberangriffen ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit, hierfür bedarf es IT-Fachkräfte, die kontinuierlich am Ball bleiben und sich fortwährend weiterbilden.


Sie unterhalten ja die ZAC, also die Zentrale Ansprechstelle Cybercrime, mit der man bei Vorfällen verschlüsselt kommunizieren kann. Für alle, die diese Einrichtung noch nicht kennen: Könnten Sie einmal skizzieren, was diese Einrichtung leisten kann?

Andreas Stenger: Die ZAC ist Teil eines bundesweiten Netzwerks der Landeskriminalämter und ist Kontaktstelle für alle Unternehmen, Behörden und Institutionen in Baden-Württemberg. Sie ist telefonisch und per E-Mail rund um die Uhr ansprechbar. Die erfahrenen Spezialistinnen und Spezialisten der ZAC wissen, welche Maßnahmen sofort zu ergreifen sind und können umgehend ein Ermittlungsverfahren initiieren. In ihrem zehnjährigen Bestehen hat die ZAC in etlichen Fällen hohe Schadensfälle verhindern können. Neben der unmittelbaren Beratungsleistung veröffentlicht die ZAC auch tagesaktuelle Handlungsempfehlungen. Diese Dokumente stehen übrigens auf der Webseite der ZAC zum Download zur Verfügung. Sobald es neue Verfahrensweisen oder Angriffstaktiken gibt, erstellt die ZAC tagesaktuell Warnmeldungen und leitet diese an ihre Kooperationspartner weiter.
 

Wann und wie kommt die Task Force Digitale Spuren dann ins Spiel, die ebenfalls zu Ihrer Abteilung Cybercrime gehört?

Andreas Stenger: Die Task Force tritt auf den Plan, wenn sich ein herausragender IT-Sicherheitsvorfall ereignet – insbesondere, wenn Unternehmen oder Einrichtungen angegriffen werden, die zur sogenannten Kritischen Infrastruktur zählen, beispielsweise Krankenhäuser oder Energieversorger. Die Task Force ist ein interdisziplinärer Verbund aus Mitarbeitern der ZAC und allen Arbeitsbereichen unserer Abteilung Cybercrime. Wenn es erforderlich ist, sind sie auch im Rechenzentrum des betroffenen Unternehmens aktiv. Dabei beschlagnahmen sie nur äußerst selten die betroffenen Rechner und Server, sondern sichern in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Unternehmen die relevanten digitalen Spuren. Die forensische Untersuchung zielt in der Regel darauf ab, Angriffsvektoren zu identifizieren und das Täterverhalten nachzuvollziehen. Diese Informationen sind insbesondere bei der Neuinstallation der Systeme wichtig und helfen, Schwachstellen zu beseitigen. Sie dienen aber auch dazu, andere Unternehmen frühzeitig und gezielt vor Hackern zu warnen, so dass diese gar nicht erst zum Opfer eines Cyberangriffs werden.


Wie erfolgreich ist eigentlich die Lösung der an die ZAC herangetragenen Probleme?

Andreas Stenger:
Um diese Frage zu beantworten, möchte ich in Erinnerung rufen, dass die Arbeit der Polizei von zwei verschiedenen gesetzlichen Aufgaben geprägt ist – nämlich der Abwehr von Gefahren und der Strafverfolgung. Ermittlungsverfahren im Bereich der Computerkriminalität sind meist anspruchsvoll und erfordern sehr viel Know-how. Internationale Bezüge sind meist mit aufwendigen Ermittlungen verbunden. Die polizeilichen und justiziellen Fachstellen im Land stellen sich diesen Herausforderungen. Klar ist aber auch: In diesem Deliktsfeld können wir leider nicht jedes Ermittlungsverfahren erfolgreich abschließen. Gleichzeitig möchte ich all denjenigen widersprechen, die behaupten, dass die Bekämpfung und Verfolgung solcher Delikte aussichtslos sind. Wir hatten beispielsweise im vergangenen Mai ein Verfahren bei der Abteilung Cybercrime, das zu einer hohen Haftstrafe führte. Das Landgericht Stuttgart konnte dank unserer Ermittlungen den Kopf einer Cybercrime-Bande zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilen. Die Bande hat bundesweite Schäden von über acht Millionen Euro angerichtet.

Wie sehen Sie die jüngere Rechtsprechung des EuGH, die sich vor allem gegen die „allgemeine und unterschiedslose“ Vorratsdatenspeicherung wendet...?

Andreas Stenger: Für die Identifizierung der Kriminellen ist die IP-Adresse von besonderer Bedeutung. Inwieweit die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof zur Speicherung von IP-Daten geeignet ist, um die Erfolgsaussichten solcher Verfahren zu verbessern, wird von der Umsetzung in nationales Recht abhängen.

Wie gesagt: Strafverfolgung ist das eine. Die Abwehr von Gefahren, also das Verhindern von Straftaten, ist ein weiterer zentraler Bestandteil polizeilicher Arbeit. Wenn wir ein Ermittlungsverfahren führen, gewinnen wir auch immer Informationen, die wir zur Gefahrenabwehr nutzen können. Das spielt unsere ZAC eine zentrale Rolle, die diese Erkenntnisse aufbereitet und den Unternehmen und Einrichtungen weiterleitet.


Wird das Angebot insbesondere von den Unternehmen ausreichend genutzt?

Andreas Stenger:
Im Jahr 2021 haben mehr als 1.800 Beratungsanfragen und Anzeigen die ZAC erreicht. Seit 2018 hat sich die Zahl der Kontakte mehr als verdoppelt. Im Jahr 2022 werden wir die Vorjahreszahl noch übertreffen. Aus vielen Rückmeldungen weiß ich, dass die ZAC insbesondere bei der institutionellen Zielgruppe hohe Akzeptanz genießt. Im Rahmen von Awareness-Veranstaltungen und Vorträgen stellt die ZAC die Bedrohungslage Cybercrime vor und gibt zielgruppenorientiert Tipps und
Ratschläge.


Die ZAC ist mit den entsprechenden Zentralen anderer Länder vernetzt. Ist diese föderale Behandlung eines bundesweiten und globalen Problemfeldes eigentlich vorteilhaft?

Andreas Stenger: Die Gefahrenabwehr ist eine zentrale Aufgabe der ZAC. Erlangt die Polizei Hinweise auf potentiell von einem Cyberangriff bedrohte Unternehmen, leitet die ZAC alle zur Information potenziell Betroffener notwendigen Maßnahmen ein. Computerkriminalität ist kein regionales Phänomen. Sowohl die Angreifer als auch die Betroffenen sind zumeist international aufgestellt. Ermittlungen erfordern regelmäßig die Abstimmung mit Behörden in anderen Bundesländern, im Bund und im Ausland. Über ihren nationalen und internationalen Verbund kombiniert und ergänzt die Polizei gerade in diesen technisch anspruchsvollen und komplexen Deliktsfeldern ihre Kompetenzen und entwickelt grenzüberschreitend eine hohe Schlagkraft.


In größerem Maßstab sind Sie ja auch mit anderen Institutionen vernetzt – mit dem Branchenverband Bitkom zum Beispiel?

Andreas Stenger: Das LKA Baden-Württemberg ist seit vielen Jahren Mitglied im Projekt Sicherheitskooperation Cybercrime. Der Bitkom – der größte deutsche Verband der Internetwirtschaft mit mehr als 2.000 angeschlossenen Unternehmen – hat sich mit mehreren Landeskriminalämtern zusammengeschlossen. In bestimmten Fällen ermöglicht die Sicherheitskooperation Cybercrime Direktkontakte zu den Mitgliedsunternehmen zur Abwehr von Gefahren für Dritte.


Sie arbeiten außerdem mit dem FBI in den USA zusammen. Können Sie uns einmal einen Eindruck von dieser Zusammenarbeit verschaffen? Wie ist das organisiert und mit welchen Erfolgen?

Andreas Stenger: In der Tat haben wir mit dem FBI einen starken Partner an unserer Seite. Diese Zusammenarbeit ist aber nur ein Baustein unserer weltweiten Ermittlungen. Sie können sich Cybercrime-Ermittlungen wie ein großes internationales Puzzle vorstellen. Zu Beginn werden zunächst lokal und dann länderübergreifend eine Vielzahl von Puzzleteilen wie Beweise, Indizien, Spuren und Informationen gesucht und sukzessive mit Ermittlungen in einem internationalen Austausch zusammengeführt. Die Täter agieren häufig über Server, die in unterschiedlichen Ländern stehen und nutzen jede Möglichkeit, ihre Angriffe zu verschleiern. Dies erfordert eine enge länderübergreifende Zusammenarbeit. Wir arbeiten mit EU-Ländern, aber auch mit Behörden auf anderen Kontinenten zusammen. Im Falle der USA muss der Kontakt nicht nur auf das FBI beschränkt sein. Wir arbeiten auch mit anderen US-Diensten und Behörden zusammen.

Die Organisierte Kriminalität hat den digitalen Raum längst als lukrative Einnahmequelle entdeckt. Da sie häufig über Ländergrenzen hinweg agieren, sind verschiedene Polizeidienststellen an den gleichen Tätern dran. Für uns ist Europol eine wichtige Institution, um internationale Zusammenhänge zu erkennen. Die Zusammenarbeit mit Partnern wie dem FBI beginnt deshalb häufig mit der Einbindung von Europol.

Gute bis sehr gute Sprachkenntnisse sind bei den Cyberspezialistinnen und -spezialisten daher eine Grundvorrausetzung. Erscheint eine enge Zusammenarbeit zwischen mehreren Ländern als zielführend, bietet Europol sogenannte Operational Meetings an, die denen wir als LKA BW regelmäßig teilnehmen. Die Beteiligung der internationalen Partner erleichtert den Umgang der unterschiedlichen Rechtssysteme und Rechtsvorschriften. Kurzum: Es ist ein sehr effizientes Instrument.


Die ZAC bietet ja auch praktische Schulungen an...?

Andreas Stenger:
Seit dem Jahr 2019 führt die ZAC Cyber-Krisenübungen für Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur durch. Das Angebot richtet sich an IT-Fachkräfte und das mittlere Management. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bilden hierbei beispielsweise einen fiktiven Krisenstab und müssen aktuelle Cybercrime-Lagen bewältigen.


Jetzt haben wir sehr viel über Cybercrime gesprochen. Ich würde gerne noch ein wenig über uns noch eine weitere Säule des LKA Baden-Württemberg etwas näher betrachten: Die Wirtschaftskriminalität, zu der auch die Korruption gehört. Aus dem Blick der Unternehmenssicherheit stellt sich das heikle Problem der Innentäterschaft. Wie ist aus Ihrer Sicht die Lage des sehr wirtschaftsstarken Landes Baden-Württemberg – auf „Geber“- und „Nehmer“-Seite?

Andreas Stenger: Unternehmen aus Baden-Württemberg sind mit ihrer Spitzentechnologie in vielen Bereichen Weltmarkführer. Es kommt auch vor, dass diese Unternehmen in internationale Korruptionsskandale verwickelt sind. Bundes- und auch landesweit war bis 2020 ein leichter Anstieg der Fallzahlen festzustellen. Die Zahlen sind natürlich hinsichtlich der Gesamtkriminalität nicht hoch. Wir rechnen aber auch hier damit, dass die Dunkelziffer hoch ist. 2021 gingen die Korruptionsstraftaten in Baden-Württemberg gegenüber dem Vorjahr von 81 auf 30 Fälle zurück. Im Bund war das ähnlich. Diesen Zahlen umfassen die Alltagsfälle der situativen Korruption und der strukturellen Korruption. Im Bezug zur Unternehmenssicherheit – die Sicht auf die Geber- und Nehmerseite – ist in den Jahren 2020 und 2021 jeweils nur ein Fall bekannt geworden.


Was empfehlen Sie Unternehmen, wenn der Verdacht in dieser Richtung besteht?

Andreas Stenger: Grundsätzlich müssen die Firmen ihre Kontrollmechanismen konsequent anwenden. In den Compliance-Richtlinien sind die einzelnen Handlungsschritte eindeutig definiert. Nur eine interne Aufarbeitung der Verdachtslage kann Klarheit schaffen. Mit diesen Fakten sollte das Unternehmen auf die Polizei, das LKA BW oder die Staatsanwaltschaft zugehen.

Für Personen, die wichtige Informationen in Korruptionsfällen anonym mitteilen möchten, bietet das LKA BW seit über zehn Jahren das Online-Hinweisgebersystem BKMS an, das auf der Homepage der polizei-bw.de verlinkt ist. Dieses System ist eine Erfolgsgeschichte, mit dem wir übrigens auch die Anforderungen der im Jahr 2022 eingeführten EU-Whistleblower-Richtlinie erfüllen.


Herr Stenger, vielen Dank für dieses sehr informative Gespräch. Zum Schluss: Ihr Innenminister Thomas Strobl betonte kürzlich anlässlich der Neubesetzung der Leitung einiger Polizeipräsidien, Baden-Württemberg sei ein sicheres Land. Ist es denn sicherer als andere Bundesländer?

Andreas Stenger: Baden-Württemberg ist bundesweit eines der sichersten Länder. Die Kriminalitätsbelastung – also die Straftaten je Einwohner – ist auf dem niedrigsten Niveau seit über 40 Jahren. Mit 4.380 registrierten Straftaten je 100.000 Einwohner ist sie so niedrig wie seit 1977 nicht mehr. Dazu kommt: Mit 65,3 Prozent haben wir die beste Aufklärungsquote seit 60 Jahren. Rund zwei Drittel aller Straftaten werden aufgeklärt. Nehmen wir zum Beispiel den Wohnungseinbruchdiebstahl. Sich in den eigenen vier Wänden sicher zu fühlen, ist ein zentrales Bedürfnis für alle Menschen. Mit 3.298 Fällen sind hier die Straftaten zum siebten Mal in Folge in Baden-Württemberg zurückgegangen und wir konnten mit engagierten und professionellen Ermittlungen den tiefsten Stand bei diesem Delikt seit über 50 Jahren erreichen. Mit unserer Sicherheitsbilanz liegen wir zusammen mit den Bayern im Ranking der Länder in punkto Sicherheit auf einem Spitzenplatz.


Und ganz zum Schluss: Wo sehen Sie in der nächsten Zeit die wichtigsten Herausforderungen der Polizeiarbeit?

Andreas Stenger: Krisen und Konflikte wirken sich durch die Globalisierung immer schneller und unmittelbarer auch in anderen Teilen der Welt aus. Deutschland und Europa stehen weiterhin im Zielspektrum terroristischer Gruppierungen. Jihad-Rückkehrer, nach Europa geschleuste Attentäter und Homegrown Terrorists, die sich gegen weiche Ziele richten, haben ein besonderes Gefährdungspotenzial. Organisierte Kriminalität oder OK-ähnliche Bandenstrukturen bedrohen unsere Gesellschaft. Wirtschaftskriminalität gefährdet den freien Wettbewerb und den Wirtschaftsstandort. Straftäter sind heutzutage grenzüberschreitend mobil und transnational aktiv, sie benutzen modernste IT-Kommunikation und die gesamte Bandbreite digitaler Möglichkeiten für die Begehung von Straftaten. Die Polizei muss deshalb zunehmend über nationale Grenzen hinweg kooperieren, um erfolgreich zu sein. Wir müssen die Zusammenarbeit mit unseren Partnern in Europa und weltweit vernetzen. Wir brauchen vermehrt bi- und multilaterale Joint Investigation Teams. Und auch Europol muss beispielsweise seine Koordinatorenrolle so offensiv wie möglich wahrnehmen. Das BKA definiert derzeit seine Funktion als Zentralstelle neu: Hin zu einem dreidimensionalen Ansatz, der neben der Abstimmung zwischen Bund und Ländern immer auch die europäische Ebene mit einbezieht. Wir müssen Fähigkeitslücken schließen: Wo Straftaten digital begangen werden, müssen wir sie auch digital bekämpfen. Wir müssen schneller agieren und brauchen dazu agile Strukturen, um flexibler auf sich wandelnde Herausforderungen reagieren zu können. Deshalb ist es wichtig, in spezifischen Kriminalitätsbereichen einen projektorientierten Ansatz zu etablieren, um flexibel, agil, mit flachen Hierarchien schnell und ganzheitlich reagieren zu können.


Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Stenger.

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