Brandschutz

Fern, schnell, gut? BHE/GIT-Podiumsdiskussion zum Thema Fernservice in der Brandmeldetechnik

18.06.2021 - Welche Chancen und Risiken bietet der Fernservice von Brandmeldeanlagen für Errichter?

Was ist praktikabel, was erlaubt? Diese und weitere Fragen behandelte die online durchgeführte Auftaktveranstaltung des BHE-Fachkongresses Brandschutz am 15. April: Eine Podiums­diskussion fragt nach „Fluch oder Segen“ in diesem Zusammenhang. Zu Gast waren fünf Experten der Branche: der BHE-Vorstandsvorsitzende Norbert Schaaf (Atral-Secal), die Sachverständigen Raimond Werdin und Sascha Puppel, Swen Drogosch (Hekatron) sowie Rechtsanwalt Dr. Ulrich Dieckert. Steffen Ebert von GIT SICHERHEIT moderierte die Diskussion.

Nah am Kunden zu sein, das heißt seit der Digitalisierung weniger als je zu vor, tatsächlich vor Ort sein zu müssen. Geht es dabei um Distribution von Produkten, um den Verkauf von Waren, ist die Sache klar. Und wie sieht es mit Dienstleistungen aus? Friseure und andere „körpernahe“ Dienstleistungen wird man kaum virtualisieren können, bei Ärzten sieht es schon durchaus anders aus – Stichwort Telemedizin.

Auch in der Sicherheitsbranche – insbesondere bei den Facherrichtern von Sicherheitstechnik – ist der Service ein erheblicher Teil des Angebots. Digitalisierung erweitert hier vor allem die Möglichkeit, aus der Ferne Inspektionen durchzuführen und ggf. auch Wartungsarbeiten, z.B. Softwareupdates.

Wenn der Errichter nicht mehr zum Kunden fahren muss, um Kontrollen und Wartungsaufgaben am Gerät selbst durchzuführen, verändert sich das Geschäftsmodell vieler Errichter. Viel Zeit und Aufwand lässt sich sparen – und der Facherrichter kann auch Kunden bedienen, die weit entfernt von ihm sind. Einen Ausgleich verspricht der Service aus der Ferne auch bezüglich des Fachkräftemangels, unter dem auch die Sicherheitsbranche leidet.

Es geht um Leib und Leben
Gibt es Schattenseiten? Die gibt es, wie etwa BHE-Vorstandsvorsitzender Norbert Schaaf es auf den Punkt bringt: Bei aller Begeisterung über die immer neuen Möglichkeiten der Technik darf nicht außer Acht gelassen werden, worum es geht – nämlich um den Schutz von Leib und Leben. Schon bei anderen Sicherheitsgewerken wie etwa dem Einbruchschutz, gehe es um wichtige Rechtsgüter – erst recht aber im Brandschutz. Hier geht es um Menschenleben, aber auch um die immer wieder realisierte Gefahr der Vernichtung erheblicher Sachwerte.

Bei weitem nicht immer ist der Fernzugriff auf Brandmeldetechnik der verlässliche Weg – das gelte vor allem bei komplexen Brandmeldeanlagen, wie Norbert Schaaf betont. Hier gehe es oft um Hunderte von Brandmeldern, weitläufige Umgebungen, in denen es auch mal zu Umbauten und Veränderungen kommen kann, deren Auswirkungen auf die installierte Brandschutztechnik nur vor Ort umfassend und sicher gewürdigt werden könne. In der neuen Norm DIN EN 50710 (Entwurf vor Abstimmung), die voraussichtlich Ende des Jahres in Kraft treten wird, wird im Übrigen auch klar unterschieden zwischen Tätigkeiten, die „at the site“, also physisch vor Ort, und solchen die „on the site“, also auch im Fernzugriff möglich sein sollen.

Das Schutzziel des Brandschutzes dürfe durch technische Möglichkeiten von Remote Services nicht unterlaufen werden, bringt Norbert Schaaf seine Sicht der Dinge auf den Punkt.

Raimond Werdin fasst das Gefahrenpotential bei Remote-und Fernservice für komplexe Brandmeldanlagen so zusammmen: „Der Teufel steckt oft im Detail – und Sichtprüfungen vor Ort können nicht durch Online-Abhaklisten ersetzt werden. Das Prinzip WYSIWYG, sprich ‚What you see is what you get‘ in real kann nicht rein virtuell ersetzt werden.“ Insbesondere wenn bei Brandmeldeanlagen Ansteuerungen beachtet werden müssen, steigen die Sicherheitsrisiken eklatant, so Werdin. Szenarien wie der Verlust eines Objektschlüssels für die Feuerwehr, die ungewollte Öffnung von Fluchttüren in großen Baumärkten, das vielleicht unbeabsichtigte Abschalten von Servern oder ganzen Produktionslinien, komplexe Brandfallsteuerungen für Sprinkleranlagen, Interaktion von Videoüberwachung ausserhalb der GSDVO und viele weitere zeigten laut Raimond Werdin, dass eine Brandmeldeanlage eben meist nicht nur aus Brandmeldern und Zentrale bestehe. Und man dementsprechend viel Vorsicht walten lassen solle, was Servicetätigkeiten rein aus der Ferne betrifft.

Chancen und Risiken
Sascha Puppel, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Sicherheitstechnik, sieht ebenfalls sowohl Chancen als auch Risiken und Anforderungen an den Fernservice in der Brandmeldetechnik. Die Möglichkeiten der Remote Services sieht er in schnelleren Reaktionszeiten: Der Errichter kann seinen Kunden schnellere Hilfe bieten, die Instandhaltung könne kostengünstiger angeboten werden. Außerdem könnten in den Errichterbetrieben die Instandhaltungseinsätze optimiert und vorausschauend organisiert werden. Da vielen Errichtern schon seit Jahren Techniker fehlten, könne eine Einsparung der Reisekosten für Entspannung sorgen.  

Andererseits sei zu achten auf Fragen der IT-Sicherheit, insbesondere hinsichtlich der Datenintegrität und der Stabilität der Verbindung. Insgesamt müsse sichergestellt sein, dass mindestens die gleiche Qualität wie beim Vorort-Service geboten werden. Schließlich müssten alle Arbeiten und Veränderungen dokumentiert und die Haftungsrisiken im Auge behalten werden. Für die Sicherheit an sich sei Fernservice eher von Nachteil – abhängig von der konkreten Umsetzung.

Anhand zweier Beispiele zeigt Sascha Puppel, welche Probleme Fernwartungen in der Praxis ergeben können: Es ging jeweils um Schäden, die vor Gericht verhandelt werden mussten. In einem dieser Fälle ging es um das Udate der Firmware einer Brandmeldezentrale aus der Ferne. Diese Firmware enthielt nun Fehler aufgrund derer die Steuerungen teils nicht funktionierten. Erkannt wurde dies erst bei einem Brand, so dass die Frage geklärt werden musste, ob der Fehler auch bei einem Update vor Ort erkannt worden wäre. Im zweiten Beispielsfall ging es um die Abschaltung einer Meldergruppe aus der Ferne. Bei einem Brand Tage später wurde dabei ein Fehler erkannt: Der Brand wurde deshalb deutlich später gemeldet.

Wer sich als Errichter mit Fernservice befassen wolle, sollte sich, so die Empfehlung von Sascha Puppel, genau mit der vertraglichen Regelung befassen, wer von den Beteiligten was wann und wie dürfe. Er solle genau auf die IT-Sicherheit achten und ständig an aktuelle Rahmenbedingungen und die Sicherheitslage anpassen. Insgesamt solle er mit Augenmaß für ein ausgewogenes und sinnvolles Verhältnis von Vorort- und Fernservice herstellen. Der Errichter trage seiner Ansicht nach deutlich mehr Risiken als der Betreiber der jeweiligen Anlage. Oft werde nämlich argumentiert, dass der Errichter ja genau wissen müsse, was zulässig sei und was nicht. Der Betreiber könne sich im Zweifel darauf berufen, dass er ja der fachliche Laie sei und sich auf den Errichter und dessen Fachkompetenz verlassen habe.  

Digitalisierung verlangt Umdenken
Einen ausgesprochen positiven Blick auf die Chancen von Fernservice und Digitale Plattformen für Facherrichter und Betreiber nimmt Swen Drogosch ein. Er ist Produktmanager für den Markt Brandmeldesysteme bei Hekatron. Er betont den engen Zusammenhang des Themas mit der Digitalisierung insgesamt: Sie verändere Gesellschaft und Wirtschaft genauso wie die Art und Weise unseres Arbeitens, so dass ein generelles Umdenken erforderlich sei. Dem könne sich niemand verschließen. Covid-19 habe dies weiter beschleunigt und gezeigt, dass digitale Werkzeuge nicht nur funktionierten, sondern viele bislang analoge Prozesse verbesserten. Wer digital aufgestellt sei, sei deshalb krisensicherer und könne in jeglicher Hinsicht flexibler und effizienter agieren.

Insbesondere bezüglich der Frage nach dem Fernservice werde die europäische Norm „Remote Service“ (DIN EN 50710) das Dienstleistungsgeschäft weiter forcieren, betont Drogosch. Sie enthalte konkrete Anforderungen an den Dienstleistungserbringer, sorge für Vergleichbarkeit bei Anbietern und schaffe Sicherheit für Anbieter, da diese nach einer allgemein anerkannten Regel der Technik arbeiteten.

Der EU Cybersecurity Act und die Umsetzung des IT-Sicherheitsgesetzes in Deutschland bildeten , so Sven Drogosch weiter, die Grundlage für die Datensicherheit, die für digitale Werkzeuge und Dienste Voraussetzung sei. Auch die deutsche Anwendungsnorm VDE 0833-1 (Anwendungsrichtlinie für Gefahrenanlagen) werde derzeit hinsichtlich der zukünftigen Ausprägung dieser digitalen Dienstleistungen überarbeitet.

Rechtliche Fragen
Der rechtlichen Sicht auf das Thema nimmt sich Rechtsanwalt Dr. Ulrich Dieckert an. Der Fernzugriff auf Brandmeldeanlagen habe zwar viele Vorteile in technischer und organisatorischer Hinsicht, doch werfe er eine ganze Reihe haftungsrechtlicher Fragen auf.

So stelle sich etwa die Frage, wer haftet, wenn die Anlage des Kunden aufgrund von Bedienfehlern des Errichters oder des Wartungsunternehmen oder schlicht aufgrund fernübertragener fehlerhafter Software nicht mehr funktioniert. Ebenso müsse nach der Haftung gefragt werden, wenn durch die Fernwartung sicherheitskritische Kundendaten in fremde Hände gerieten oder verloren gingen – etwa beim Verlust mobiler Geräte des Errichters, auf denen Zugangsdaten abgespeichert sind. Schließlich stelle sich die Haftungsfrage, wenn das Wartungsunternehmen auf Kundenwunsch einen defekten Brandmelder aus der Ferne deaktiviert, damit die BMA wieder scharf geschaltet werden kann, und es im Segment des abgeschalteten Melders zu einer nicht gemeldeten Brandentwicklung kommt.

Rechtsanwalt Dieckert ging diesen Fragen im Einzelnen anhand konkreter Beispiele und aktueller Rechtsprechung nach. Er arbeitete außerdem heraus, wie Haftungsbeschränkungen zu erreichen sind – sowohl bei der Vertragsgestaltung als auch bei Durchführung des Vertrages.

Insgesamt gesehen, so das Fazit des Rechtsanwalts, sei der Eingriff in fremde Netze in vielfacher Hinsicht risikobehaftet – unabhängig davon, ob er vor Ort oder aus der Ferne stattfinde. Die Parteien eines Wartungsvertrages sollten deshalb klarstellen, welche vertraglichen Pflichten bestehen und wo die Haftung des Wartungsunternehmens anfängt, aber auch wo sie endet. Der Errichter bzw. die Wartungsfirma sollte die mit der Vertragserfüllung befassten Mitarbeiter hinreichend schulen, anleiten und beaufsichtigen, und ggf. die eingesetzten Subunternehmer sorgfältig auswählen, um Pflichtverletzungen so weit wie möglich zu vermeiden. Außerdem solle die ordnungsgemäße Vertragserfüllung zu Beweiszwecken dokumentiert werden. Schließlich sei – grundsätzlich – eine gute Versicherung zu empfehlen.

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