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Absturzsicherung: Wie vermeidet man ein „Hängetrauma“?

27.09.2013 - Für jeden, der nach einem Sturz im Auffanggurt hängt, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Denn ein dabei auftretendes „Hängetrauma" kann tödlich enden. Hier kommt es auf schnelle Re...

Für jeden, der nach einem Sturz im Auffanggurt hängt, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Denn ein dabei auftretendes „Hängetrauma" kann tödlich enden. Hier kommt es auf schnelle Rettung an.

Es muss im Grunde immer damit gerechnet werden. Ob bei der Reparatur von Industriemaschinen, bei Arbeiten auf Gerüsten, bei Sanierungsarbeiten an Dächern oder auch bei Beladung großer Fahrzeuge - überall, wo Menschen in absturzgefährdeten Bereichen arbeiten, kann es zu einem Sturz kommen. Auch wenn der Mitarbeiter sich hier vorschriftsmäßig mit einem Absturzsicherungssystem schützt, bleibt es gefährlich. Denn wer einmal nach dem Abrutschen hilflos baumelnd „im Seil" hing, weiß, wie erschreckend eine solche Situation ist. Es droht ein Hängetrauma.

Lebensbedrohlicher Schockzustand
„Ein Hängetrauma ist ein lebensbedrohlicher Schockzustand, der nach längerem bewegungslosen Hängen in einem Gurtsystem auftritt", erklärt Björn Robach, Feuerwehrmann aus Duisburg und ausgebildeter Höhenretter. „Das muss man sich so vorstellen: Bei jemanden, der nach einem Sturz in erzwungen aufrechter Körperhaltung hängt, führt die Schwerkraft zum ‚Versacken' des Blutes in die herabhängenden Körperteile. Die ‚Muskelpumpe' in den Beinen kann nicht mehr funktionieren - das Blut fließt nicht mehr zum Herzen zurück und der Blutdruck fällt ab." Medizinisch spricht man dann von einem orthostatisch bedingten, relativen Volumenmangelschock, dabei kann es zu einem Kreislaufzusammenbruch kommen. Oft mit dramatischen Folgen für den Verunfallten. Denn für ihn wird die Situation schnell lebensgefährlich, wenn das Gehirn und auch wichtige Organe nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden. Solch ein Sauerstoffmangel verursacht Bewusstlosigkeit und kann laut Medizinern tödlich enden.

In der Zeit kämpft der Mensch in seiner hängenden Position zunächst mit Beschwerden wie Blässe, Schwitzen und Kurzatmigkeit ebenso wie Sehstörungen und Schwindel. Hinzu kommen Übelkeit, Blutdruckabfall und Taubheit der herabhängenden Beine. Hier können die Auswirkungen vom bewegungslosen Hängen im Auffanggurt je nach individueller Gesundheit und Konstitution unterschiedlich sein. „Sicher hat ein Sportler größere Reserven als jemand, dem eine gewisse Grundfitness fehlt. Aber ein solcher Sturz ist eine beängstigende Ausnahmesituation, die enormen Stress verursacht, Panik und Angstzustände auslösen kann", weiß Feuerwehrmann Björn Robach, der auch als ehrenamtlicher Mitarbeiter bei der Hilfsorganisation I.S.A.R. Germany schon oft im Einsatz war. „Körperliche Fitness hilft kaum weiter, wenn man völlig hilflos über dem Abgrund baumelt." Für den Retter stellt sich auch immer die Frage, was zu dem Sturz geführt hat.

Denn möglich ist, dass der Verunfallte bereits vorher bewusstlos war, sich während der Arbeit durch schwebende Bauteile etc. verletzte. Laut Experten kommt es dann noch schneller zum Hängetrauma. Und auch Witterungseinflüsse wie Hitze und Kälte können es beschleunigen - sie führen zu kritischen Situationen wie Unterkühlung oder Hitzschlag. Weitere Faktoren sind auch schlecht angepasste Auffanggurte, die das Blut abschnüren. Ebenso Flüssigkeitsmangel, Unterzuckerung und Erschöpfung. Und natürlich die Hängedauer! Nach Angaben von Medizinern tritt das Trauma nach zehn, maximal zwanzig Minuten regungslosem Hängen auf. Dazu Feuerwehrmann Björn Robach: „Ganz klar: hier zählt wirklich jede Minute. Schon wenn man nur ein paar Minuten bewusstlos im Seil hängt, kann das zum Tod führen. Das sollten alle Beteiligten wissen und sofort Rettungsmaßnamen ergreifen."

Eigenmaßnahmen des Hinauszögerns
Bis dahin hat der Mensch im Auffanggurt - vorausgesetzt, er ist bei Bewusstsein - auch selbst Möglichkeiten, um das Hängetrauma hinauszuzögern und dem Blutstau in den Beinen entgegenzuwirken. Wenn auch nur für kurze Zeit. „Dabei ist allerdings Übung gefragt", so Sebastian Klenke, der als Schulungsleiter bei ABS Safety, einem niederrheinischen Hersteller von Absturzsicherungssystemen, tätig ist. Im Rahmen von Schulungen zum Sachkundigen für Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz werden dort Kurse angeboten, bei denen in der Praxis neben dem bestimmungsgemäßen Anlegen von Auffanggurten, Abseil- und Rettungsübungen auch ein Hängetest gehört. „Wenn man später im Job tatsächlich einmal stürzt und keine Hilfsmittel zur Verfügung hat, gibt es eine Technik, indem man die Zehen heranziehen und sich im Wechsel auf den eigenen Fuß stellen kann. Besser funktionieren natürlich Mittel wie etwa ein Halteseil mit Längeneinstellvorrichtung oder auch eine Prusikschlinge, die mit einem lösbaren Klemmknoten am Sicherungsseil befestigt wird. Die ist leicht, lässt sich in der Schutztasche des Auffanggurtes verstauen. In der Trittschlinge kann man die Beine abstützen und gegen einen Widerstand drücken - so wird die ‚Muskelpumpe' kurzzeitig in Gang gehalten." Doch auch der ABS-Schulungsleiter macht deutlich: „Was zählt ist: auf sich aufmerksam machen und zügig gerettet werden!"

Schnelle Rettung - vorher geübt
Hier ist vor allem der Unternehmer in der Pflicht. Denn um schnelle Rettung sicherzustellen, muss er nach BG-Regeln selbst für Einrichtungen und Sachmittel sowie fachkundiges Personal zum Retten hängender/aufgefangener Personen sorgen. Sich nur auf die Feuerwehr zu verlassen, wäre fahrlässig. Dazu Björn Robach: „Das bedeutet für die Unternehmen, dass sie sowohl für solche Fälle ihre Mitarbeiter schulen als auch entsprechende Sachmittel, wie beispielsweise Absturzsicherungssysteme zum Abseilen, bereitstellen müssen! Solche Systeme sind bezahlbar - und können Leben retten." Zudem muss eine Grundregel gelten: „In absturzgefährdeten Bereichen nie alleine arbeiten!"

Auch sollten seitens der Unternehmen eine Gefährdungsanalyse vorgenommen und Rettungsverfahren vorher genau festgelegt werden. Dazu sind detaillierte Rettungspläne hilfreich. „Hier gilt: Rettungssysteme müssen immer an das entsprechende Objekt angepasst sein", so der Feuerwehrmann. „Und: der Hängende sollte möglichst abgeseilt und in aufrechter Körperhaltung gerettet werden, etwa mit einem ausreichend langen Abseilgerät und Rettungshubeinrichtung."

Erste Hilfe - was man beachten muss
Ein Hängetrauma ist ein medizinischer Notfall - das darf man nie vergessen. Deshalb ist sofort der Notruf abzusetzen und immer ein Notarzt anzufordern. Doch auch die Erstretter vor Ort sollten wissen, was sie tun. So rät Dr. Klaus Winkelmann, Arzt für Anästhesie- Notfallmedizin- und ärztlicher Leiter des Notarztstandortes am Bethlehem-Gesundheitszentrum in Stolberg: „Der ansprechbare Verletzte muss nach seiner Rettung mit erhöhtem Oberkörper, also in hockender oder sitzender Stellung gelagert werden. Er darf auf keinen Fall in Schocklage gebracht werden. Bei sofortiger Flachlagerung besteht die Gefahr akuten Herzversagens infolge einer Überlastung durch raschen Ruckfluss des Blutes aus der unteren Körperhälfte." Laut Notarzt sollten zudem beengende Gurte und Kleidung geöffnet werden. Ist der Gerettete bewusstlos, muss er in die stabile Seitenlage gebracht werden. Bei Atemstillstand sind sofort Widerbelebungsmaßnahmen durchführen.

Wie wahrscheinlich ist ein Hängetrauma? Die Experten sind sich hier einig, dass die Möglichkeit überall besteht, wo Absturzgefahr droht - und sie ist völlig unabhängig von der Höhe. Hängt der Gestürzte zu lange im Gurt, droht Lebensgefahr. Fatal, wenn niemand ihn bemerkt oder Rettung zu spät kommt.

 

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