Safety

Safety, Security und das Zukunftsprojekt Industrie 4.0

01.04.2015 - Industrie 4.0 und der Weg dorthin - das ist einer der Schwerpunkte von Pilz auf der kommenden Hannover Messe: Dort zeigt das Unternehmen, wie sich mit dem Konzept der verteilten In...

Industrie 4.0 und der Weg dorthin - das ist einer der Schwerpunkte von Pilz auf der kommenden Hannover Messe: Dort zeigt das Unternehmen, wie sich mit dem Konzept der verteilten Intelligenz Steuerungsauf­gaben in modular aufgebauten ­Anlagen effizient und anwender­­freundlich ­lösen lassen. ­­
GIT ­SICHERHEIT.de sprach darüber mit Pilz-Geschäftsführerin Renate Pilz und Armin Glaser, Leiter Produktmanagement des Unter­nehmens.

GIT SICHERHEIT.de: Frau Pilz, laut einer Umfrage des IT-Dienstleisters CSC verbindet in der Industrie der DACH-Staaten die Hälfte der befragten Entscheider schier gar nichts mit dem Schlagwort „Industrie 4.0", und einem weiteren Viertel ist unklar, was es bedeutet. Richtig im Bilde sind nur ein Viertel der Befragten. Ist das auch Ihre Erfahrung?  

Renate Pilz: Es ist richtig, dass Industrie 4.0 als Begriff zunächst sehr abstrakt erscheint und inhaltlich wenig abgegrenzt ist. Und das birgt die Gefahr, dass er beliebig und inflationär verwendet wird. Letztlich jedoch ist Industrie 4.0 als ein Zukunftsprojekt zu sehen, in dem es um die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschlands im Allgemeinen und des einzelnen Industriebetriebes im Speziellen geht. Eine Auseinandersetzung mit Industrie 4.0 ist also für jedes produzierende Unternehmen und jeden Maschinenbauer wichtig. Aus den Gesprächen mit Kunden und Partnern spüren wir, dass sich dieses Verständnis zunehmend durchsetzt.

Zerlegt man das Schlagwort „Industrie 4.0" in seine konstituierenden Bestandteile, so taucht neben der Vernetzung sehr schnell der Begriff „Intelligenz" auf. Es geht also um Einsicht und Verstehen, das Erfassen von Bezügen. Was heißt Industrie 4.0 für Pilz?

Renate Pilz: Pilz hat das Thema Industrie 4.0 von Beginn an begleitet. Als Mitglied der Forschungsunion und den damit in Verbindung stehenden Arbeitskreisen haben wir uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass Sicherheit als erfolgskritischer Faktor für das Gelingen des Zukunftsprojekts anerkannt wird.

Armin Glaser: Mit Industrie 4.0 entstehen hochgradig vernetzte Systemstrukturen mit einer Vielzahl von beteiligten Menschen, IT-Systemen, Automatisierungskomponenten und Maschinen. Wenn alles mit allem dezentral kommuniziert, steigt gleichzeitig auch der Bedarf an abgesicherter Kommunikation. Dieser umfasst gleichermaßen die Aspekte Safety (Maschinensicherheit) wie auch die Anforderungen für Security (Betriebssicherheit). Weiter entstehen besondere Herausforderungen mit Blick auf die Modularisierung, die Vernetzung und die Verteilung von Steuerungsfunktionen in kleine und immer kleinere Teilfunktionen.

Gehen wir das mal im Einzelnen durch. Zunächst einmal: Was bedeutet das Zusammenwachsen von IT und Automatisierung für das Zusammenspiel von Safety und Security?

Armin Glaser: Mit einem höheren Grad der Vernetzung steigt auch die Vielfalt der unterschiedlichen Kommunikationsbeziehungen innerhalb einer Automatisierungslösung. Heute kommen zunehmend offene Kommunikationssysteme mit einer Vielzahl an Beziehungen zum Einsatz. Das Thema Security, also der Schutz der Maschine und ihrer Daten vor unberechtigter Nutzung, ist momentan noch unzureichend gelöst. Technische Maßnahmen allein reichen jedoch nicht aus - organisatorische Maßnahmen müssen diese begleiten. Der Bereich Safety zeichnet sich bereits durch große Investitions- und Rechtssicherheit aus. Das liegt auch an der Ordnung durch Normen und Standards: Ein Safety Integrity Level (SIL) ist innerhalb der IEC-Normung definiert und ermöglicht global gültige Definitionen von Gefährdungsklassen, Risikoabschätzungen und der Nachweisführung erreichter Schutzziele.

Renate Pilz: Wir setzen uns dafür ein, für Safety und Security gemeinsame Standards zu entwickeln, die herstellerübergreifende Betrachtungen mit einbeziehen. Zentrale Themen sind dabei eindeutige und sichere Identitätsnachweise für Produkte, Prozesse und Maschinen, einschließlich des sicheren Informationsaustauschs entlang des gesamten Produktionsprozesses. Die beste Security-Maßnahme nützt nichts, wenn diese wegen zu hohem Zeitbedarf oder oft auch aus Unverständnis und Unwissenheit nicht praktiziert oder - schlimmer noch - bewusst umgangen wird. Hier gibt es Analogien zur Funktionalen Sicherheit. Für Safety wie für Security gilt: Die Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen darf durch Sicherheitsmaßnahmen nicht beeinträchtigt werden. Für die Umsetzung lassen sich viele Abläufe und Erfahrungen aus der Safety-Welt direkt auf die Security-Welt übertragen.

Sie haben das Thema Modularisierung angesprochen. Welche Rolle spielt diese für die Fabrik der Zukunft?

Renate Pilz: Zu den treibenden Faktoren für Industrie 4.0 zählen unter anderem individuelle Kundenanforderungen an Produkte, höhere Variantenvielfalt und schrumpfende Produktlebenszyklen. Das führt zu kleineren Losgrößen und häufigeren Umkonfigurationen der Produktionssysteme. Mit modular konzipierten Anlagen lassen sich diese Anforderungen einfacher und produktiver erfüllen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang vom mechatronischen Ansatz. Dieser verfolgt die Philosophie, durchgängig alle am Entstehungsprozess einer Maschine beteiligten Disziplinen zusammenzuführen: Mechanik, Automatisierungstechnik und Informatik. Anlagen lassen sich so in übersichtliche, selbstständig arbeitende Einheiten zerlegen. Der mechatronische Ansatz erfordert, dass auch Steuerungsfunktionalitäten in die einzelnen mechatronischen Module „hineinwandern" können.

Der Begriff Verteilung sowie die Verlagerung von Steuerungsfunktionen in die Peripherie - das beschreibt die Idee Ihres Automatisierungssystems PSS 4000. Würden Sie uns das bitte näher erläutern?

Armin Glaser: Bei der klassischen Automatisierung überwacht eine einzelne, zentrale Steuerung die Maschine oder Anlage und verarbeitet alle Signale. Mit solchen zentralistisch ausgelegten SPS-Steuerungen können die Vorteile einer Modularisierung nicht ausgeschöpft werden: Änderungen in einzelnen Anlagenteilen verursachen einen hohen Aufwand auf Steuerungsebene, da Programmstrukturen und die Verbindungen zu den einzelnen Maschinenmodulen an zentralen Stellen der Steuerung verändert werden müssen. Mit dem Automatisierungssystem ­PSS 4000 verfolgt Pilz konsequent den modularen und verteilbaren Ansatz. Dieser erlaubt es, die Vorteile einer dezentralen Steuerungsstruktur zu nutzen, ohne die damit üblicherweise verbundene höhere Komplexität in Kauf nehmen zu müssen.

Renate Pilz: Und das ist für mich das Entscheidende: Wenn die Komplexität der Applikation steigt, muss erst recht die Anwenderfreundlichkeit gewährleistet sein. PSS 4000 ist also ein Industrie-4.0-fähiges Automatisierungssystem.

Was bedeutet das für den Anwender?

Armin Glaser: Zentrale Idee von PSS 4000 ist die Verschmelzung von Sicherheits- und Automatisierungsaufgaben. Prozess- oder Steuerungsdaten, Fail-safe-Daten und Diagnoseinformationen werden über Ethernet zwischen den verschiedenen Automatisierungskomponenten ausgetauscht und synchronisiert. Damit spielt es für die Steuerungsfunktion letztendlich keine Rolle, wo der zugehörige Programmteil abgearbeitet wird und wo im verteilten Automatisierungssystem die Prozessdaten erfasst werden. Der Clou dabei: Dank der systemweit gültigen Prozessdaten können die mechatronischen Teilungsgrenzen einzelner Funktionsmodule erstmals gleichermaßen für die Aufgaben der Steuerung wie auch für die der Sicherheitsaufgaben übernommen werden.

Renate Pilz: Statt einer zentralen Steuerung steht dem Anwender ein zur Laufzeit verteiltes Anwenderprogramm zur Verfügung. In der Projektierungsphase nutzt der Anwender das System jedoch in einer zentralen Sicht. Dies ist eine unserer Antworten, um Komplexität zu reduzieren. Über dieses zentrale Projekt werden alle Netzteilnehmer konfiguriert, programmiert und diagnostiziert. So ist ein einfaches, einheitliches Handling im Gesamtprojekt möglich. Der Aufwand für Engineering, Inbetriebnahme und Wartung lässt sich deutlich reduzieren.

Pilz spricht hier von parallelem Engineering. Das steht für simultane und verteilte Entwicklung - man macht mit anderen Worten vieles gleichzeitig an verschiedenen Stellen, als alles hübsch nacheinander?

Renate Pilz: So ist es. Um den mechatronischen Ansatz zu unterstützen, erlaubt PSS 4000 eine Hardware-unabhängige Programmierung. Erst beim Zusammenführen der drei Disziplinen Mechanik, Elektrik und Automatisierungstechnik wird entschieden, welcher Teil des Anwenderprogramms in welchem Modul mit entsprechender Hardware läuft.

Armin Glaser: Durch diese Trennung - Hardwarefunktion ist unabhängig von der Softwarefunktion zu betrachten - haben wir neue Freiheitsgrade im Engineeringprozess geschaffen. Früher musste der Anwender, speziell bei Sicherheitssaufgaben, zwingend zuerst die Hardware konfigurieren und konnte erst dann mit dem Programmieren anfangen. Das ist eine sequentielle Aufgabenreihenfolge, die so vom System her vorgegeben wurde. Heute kann die Hardware-Konstruktion parallel zur Software-Erstellung der Steuerungsfunktionen erfolgen. Das System überlässt dem Anwender die Wahl, zu welchem Zeitpunkt beide Teilprozesse zusammengeführt werden. Davon profitieren nicht nur Anwender, die unter Zeitdruck stehen. Wird eine Maschine nachträglich erweitert, kann eine zusätzliche Steuerung einfach hinzugefügt werden. Das Anwenderprogramm lässt sich dann ohne größeren Aufwand von beispielsweise zwei Steuerungen auf drei neu verteilen. Teilinbetriebnahmen und Teilbetrieb von einzelnen Maschinenteilen sind möglich - so sind Anwender flexibel und unabhängig beim Erstellen ihrer Gesamtapplikation und im Betrieb.

 

Von Anfang an dabei:
Pilz und Industrie 4.0

Pilz gestaltet das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 von Beginn an mit: Die geschäftsführende Gesellschafterin Susanne Kunschert wurde 2009 durch die Bundesregierung persönlich in die Forschungsunion berufen. In dem zentralen innovationspolitischen Beratungsgremium der Bundesregierung wurde das Zukunftsprojekt ins Leben gerufen. Durch die Mitarbeit in der deutschen Forschungsunion hat Pilz dazu beigetragen, dass Sicherheit für Industrie 4.0 als erfolgskritischer Faktor anerkannt wurde. Heute ist Pilz Mitglied der Forschungsplattform Smart Factory KL und wurde in den Lenkungskreis Allianz Industrie 4.0 BW des Landes Baden-Württemberg berufen.

 

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