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Industrie 4.0: Interview mit Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Klindt

18.06.2015 - Die Hannover Messe ist vorbei. Das Thema Industrie 4.0 war dort in aller Munde. Die Aufmerksamkeit der Wirtschaft steigt, und zwar endlich auch in klein- und mittelständischen Unte...

Die Hannover Messe ist vorbei. Das Thema Industrie 4.0 war dort in aller Munde. Die Aufmerksamkeit der Wirtschaft steigt, und zwar endlich auch in klein- und mittelständischen Unternehmen. Haupttreiber dabei sind vor allem technische Innovationen und die Suche nach dem funktionieren Business Case von morgen. Inwieweit aber auch (neue) Rechtsfragen berührt sind, geht immer etwas unter. Wir sprachen hierzu mit Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Klindt, Partner der Kanzlei Noerr LLP und Leiter des dortigen Product Compliance-Teams.

GIT SICHERHEIT: Sehr geehrter Herr Prof. Klindt, ist das Thema 4.0 eigentlich schon bei den Juristen angekommen?

Dr. Thomas Klindt: Wir sortieren uns noch. Das hat viele Gründe: Zum einen halten sich viele Juristen von technisch diffizilen Themen traditionell eher fern. Zum anderen schlagen Rechtsfragen bei uns Juristen oft erst dann auf, wenn es wirklich kriselt. Das ist bei innovativen Konzepten am Anfang naturgemäß
nicht der Fall.

Aber Sie sehen am Horizont schon erste rechtliche Herausforderungen?

Dr. Thomas Klindt: Ohne jeden Zweifel! Eine ganze Fülle rechtlicher Herausforderungen kommen da auf uns alle in der Industrie zu. Viele Fragen werden wohl mit den traditionellen Rechtsfiguren des geltenden Rechts gut in den Griff zu bekommen sein. Möglicherweise werden wir aber auch – ebenso innovativ – neue rechtliche Tools entwickeln müssen, weil das bisherige Recht strukturell nicht gut aufgestellt ist: Hier trifft eben Industrie 4.0 auf Recht 3.0…

Lösen Sie die Andeutungen doch einmal auf: Wo kommt denn rechtlich etwas auf die Industrie zu?

Dr. Thomas Klindt:
Eine große Rolle wird sicherlich das IT- und das Datenschutzrecht spielen: Das Internet der Dinge und jede vernetzte
Industriekommunikation wird 24/7 eine Vielzahl von Daten generieren, bei denen immer dann das Datenschutzrecht aufwacht, wenn es sich dabei um personenbezogene Daten handelt. Und das kann, etwa bei Bewegungsprofilen (z.B. unter Arbeitsschutzgesichtspunkten), schneller der Fall sein als viele derzeit denken. Grenzüberschreitendes Datenschutzrecht wiederum ist in internationalen Konzern, aber auch in Zusammenarbeitsformen wie Konsortien,
Plattformen oder F&E-Gemeinschaften keine triviale Problematik. Vernetzte Lösungen werden aber auch IP-Fragen etwa des Patentrechts oder des Arbeitnehmererfindungsrechts neu stellen. Wenn Geräte schließlich autark und autonom entscheiden, stellen sich geradezu philosophische Fragen des Robotikrechts: Wer zum Beispiel gibt dann wirksam vertragsrelevante Willenserklärungen in den Ersatzteilnachbestellungen ab?

In der Tat, ganz neuartige Bereiche. Drückt irgendwo besonders der Schuh?

Dr. Thomas Klindt: Mir ist selbst noch nicht klar, inwieweit sich nicht das gesamte Haftungsrecht verändern muss. Dies kann etwa produkthaftungsrechtliche Auswirkungen haben, wenn Industrie 4.0 zu neuen Formen individualisierter Fertigung führt, in deren Endprodukten dann der Wurm steckt. Auch die arbeitsschutzrechtliche Haftung bei Arbeitsunfällen wird zu durchdenken sein. Vor allem aber stellt sich die Frage, inwieweit IT-Security und die Sabotageanfälligkeit für Hacker-Angriffe von außen haftungsrechtlich neu gedacht werden muss.

Das klingt nach vielen Bedenken. Sehen Sie denn nicht die Chancen der Industrie 4.0?

Dr. Thomas Klindt: Doch, absolut! Ich sehe ein immenses Potenzial. Die Aufgabe eines Juristen ist keinesfalls, innovative Entwicklungen zu stoppen oder auch nur zu bremsen. Es geht alleine darum, möglichst frühzeitig „Störfelder“ zu entdecken, um sie gleich wieder ausschalten zu können. Und das können eben nicht nur technische, sondern auch rechtliche Minenfelder sein. Bedenken Sie die Unzahl von vertrags- und versicherungsrechtlichen Konsequenzen, die wir industrieseitig frühzeitig in den Griff bekommen müssen. Wenn es „geknallt“ hat, wird man am Vertragsbestand nichts mehr ändern können.

Spielen auch internationale rechtliche Aspekte eine Rolle?

Dr. Thomas Klindt: Es gibt ohnehin keine nationalen Insellösungen im Recht mehr. So werden wir auch in der Industrie 4.0 das komplette vorhandene EU-Recht rund um CE-Kennzeichnungen beachten müssen. Das gilt für EMVrechtliche Anforderungen, für funkrechtliche Anlagenbestimmungen, aber auch für Fragen etwa der EG-Maschinenrichtlinie. Und wenn Sie den verwandten Bereich des autonomen Fahrens betrachten, so stellt sich zudem die Frage, wann vom Gesetzgeber regulative Anforderungen über Telemetriedaten und EDV-Eigenüberwachung in Angriff genommen werden, wie dies in den USA  derzeit für KfZ-Datenrekorder bereits der Fall ist.

Herr Professor Klindt, wir danken Ihnen für dieses aufschlussreiche Interview.