Management

Konzernsicherheit: Sabine Wiedemann von Daimler im Interview

10.01.2012 - Die Firmengründer Gottlieb Daimler und Carl Benz haben mit der Erfindung des Automobils im Jahr 1886 Geschichte geschrieben. 125 Jahre später, im Jubiläumsjahr 2011, war die Daimle...

Die Firmengründer Gottlieb Daimler und Carl Benz haben mit der Erfindung des Automobils im Jahr 1886 Geschichte geschrieben. 125 Jahre später, im Jubiläumsjahr 2011, war die Daimler AG eines der erfolgreichsten Automobilunter­nehmen der Welt. Mit den Geschäftsfeldern Mercedes-Benz Cars, Daimler Trucks, Mercedes-Benz Vans, Daimler Buses und Daimler Financial Services gehört der Fahrzeughersteller zu den größten Anbietern von Premium-Pkw und ist der größte weltweit aufgestellte Nutzfahrzeug-Hersteller. Unser wissenschaftlicher Schriftleiter Heiner Jerofsky fragt die verantwortliche Leiterin für Konzernsicherheit Sabine ­Wiedemann zu Eckpunkten und Aufgaben der Unter­nehmenssicherheit in diesem bedeutenden Weltkonzern.

GIT SICHERHEIT: Sie sind jetzt seit einem Jahr verantwortlich für Konzernsicherheit in Ihrem Unternehmen. Wie haben Sie sich eingearbeitet und welche Sicherheitsphilosophie vertreten Sie?

Sabine Wiedemann: Im März 2011 habe ich die Leitung der Konzernsicherheit von Daimler übernommen. Und gleich am 11. des Monats haben uns das schwere Erdbeben, der Tsunami und der Reaktorunfall in Japan ereilt. Das ließ keine Zeit für einen ruhigen Anlauf, und das Krisenmanagement forderte mich ganz und gar. Es war ein fulminanter Auftakt, der mich mit Hochdruck mit der Organisation, der Arbeitsweise und vielen Menschen bei Daimler in Berührung brachte. ­Parallel habe ich in den ersten Monaten sehr viel zugehört, an unzählige Türen geklopft, um mich vorzustellen und um verstehen zu lernen, wie der Daimler „tickt". Denn, so habe ich in den letzten Jahren gelernt, jedes Unternehmen benötigt seine „eigene" Sicherheit. Mit einer Schablone seine Sicherheitsvorstellungen umzusetzen, ist garantiert ein erfolgloses Unterfangen. Eine Unternehmenssicherheit, die den Anforderungen von Daimler entspricht, Mehrwert schafft und die Akzeptanz der Fachbereiche hat - das ist mein Ziel und meine Aufgabe. Dies setzt ein funktionierendes Netzwerk innerhalb des Unternehmens voraus, aber auch die enge und vertraute Zusammenarbeit im Team und mit den unterschiedlichsten Bereichen.

Es ist unbestritten, dass das Sicherheitsniveau bei der Produk­tion, Montage und Auslieferung von Premiumfahrzeugen besonders hoch sein muss. Wie können sich unsere Leser die wichtigsten Aufgabenbereiche, Themenfelder und Abteilungen des Arbeitsbereiches Konzernsicherheit vorstellen?

Sabine Wiedemann: Die Konzernsicherheit ist derzeit in drei Abteilungen organisiert: Erstens der Bereich Operative Services mit Ermittlungen, Repression und Prävention und Informationsschutz. Zweitens der Bereich Internationale Sicherheit mit Lagezentrum, Analyse, Reisesicherheit, Krisenmanagement, Betreuung unserer internationalen Standorte, Personen- und Veranstaltungsschutz. Und drittens haben wir den Grundsatzbereich, der Standards und Policies erstellt, alle wichtigen Querschnittthemen steuert und treibt, unsere Standorte in Deutschland betreut.
Sicherheitskonzepte sind bekanntermaßen das Ergebnis von ak­tuellen Gefahren- und Bedrohungsanalysen. Wo liegen nach Ihrer Risikobeurteilung die größten Gefahren für Ihren Konzern und wie schätzen Sie persönlich die aktuelle Risiko- und Bedrohungssituation ein?
Sabine Wiedemann: Die größten Herausforderungen sehe ich in der Zunahme von Naturkatastrophen, in sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Instabilität, der Wirtschaftskriminalität und -spionage sowie der Verbreitung von Terrorismus, Extremismus und Radikalisierung. Wir werden die Entwicklung dieser Bedrohungsphänomene häufig nicht beeinflussen können. Aber die Konzernsicherheit kann dazu beitragen, Daimler zu wappnen, sinnvoll vorzubereiten, um auch Unerwartetem oder Unvermeidbarem gewachsen zu sein und die Lage bewältigen zu können.

Wie schaffen Sie es, zeitnah die objektive Sicherheitslage mit dem subjektiven Sicherheitsgefühl in Übereinstimmung zu bringen, und aus welchen Quellen kommen Ihre Informationen für eine rea­listische Lagebeurteilung?

Sabine Wiedemann: Im Lagezentrum beobachten wir rund um die Uhr die weltweite Sicherheitslage. Wir bedienen uns hier der verschiedenen Medien, Dienstleister und natürlich der eigenen Fachbereiche. Wir sammeln alle notwendigen Informationen, checken sie gegen unterschiedliche Quellen und analysieren und bewerten sie sachlich. Außerdem suchen wir umgehend die Kommunikation mit den betroffenen Fachbereichen und verantwortlichen Entscheidungsträgern. Wir werden als zuverlässige und glaubwürdige Partner betrachtet, da wir 24/7 ansprechbar und einsatzbereit sind, zeitnah und effizient kommunizieren, Lösungen bieten und nie sagen: „Dafür sind wir nicht zuständig." Das schafft Qualität.

Die Sicherung von Anlagen, Immobilien, Produktionsstätten und Betriebsgelände gegen Störungen von außen ist bei den Größenverhältnissen und Werten eine besondere Herausforderung. Wie und mit welchen Maßnahmen der Objektsicherung schaffen Sie es bei der Freigeländeüberwachung, dass sich technische und personelle Sicherheitsstandards in wirtschaftlich vertretbarem Rahmen bewegen?

Sabine Wiedemann: Das Prinzip hierfür ist eigentlich recht einfach, nämlich die Abwägung von Bedarf, Nutzen und Kosten. Diese drei Faktoren müssen in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen. Die Objekt- und Standortsicherheit umfasst eine umfangreiche Maßnahmenpalette: physische Geländesicherung, Zutrittskontrolle, Einbruch- und Brandmeldeanlagen, Videoüberwachung, Empfangsdienste und Werkschutz. Wir bedienen uns selbstverständlich moderner Techniken und Technologien, aber auch hier ist der Mensch nicht wegzudenken, der auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird. Wir müssen uns wie alle anderen Bereiche immer wieder einer Überprüfung unterziehen, ob Maßnahmen, Prozesse, Technologien noch auf dem aktuellen Stand sind bzw. angepasst werden müssen.

Die wertvollen Betriebsstätten, Montagehallen, Anlagen und Fahrzeugteile auf dem Gelände sind vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Wie verhindern und bekämpfen Sie Betriebsstörungen, kriminelle Handlungen (Diebstähle, Sabotage, Spionage, terroristische Angriffe) und Naturereignisse innerhalb der Werksgelände?

Sabine Wiedemann: In unseren deutschen Standorten sind eigene Sicherheitsabteilungen vorhanden, die individuell auf die Bedürfnisse des jeweiligen Werks angepasst sind und dadurch lokal erfolgreich und zeitnah agieren können. Hier finden die klassischen Konzepte Anwendung, wie Einsatzzentrale, Feuerwehr, Werkschutz, Notfall- und Krisenmanagement, Repression und Prävention.

Wie und mit welchen Maßnahmen schaffen Sie es, dass Sicherheitsregeln, Betriebsanweisungen, Alarmpläne und andere Informationen zur Sicherheits- und Notfallorganisation die Köpfe der unterschiedlichsten Beschäftigten erreichen und ernst genommen werden? Wie kommunizieren Sie Ihre Sicherheitsphilosophie?

Sabine Wiedemann: Der erste wichtige Baustein hierzu ist: Transparenz schaffen. Wir definieren Standards, beschreiben Prozesse und Produkte - und das möglichst verständlich und klar. Und das erarbeiten wir nicht allein im stillen Kämmerlein, sondern mit allen Prozessbeteiligten und Kompetenzen. Am Ende steht ein Standard, an dem alle mitgewirkt haben, der dadurch eine hohe Akzeptanz genießt und mit Überzeugung umgesetzt wird. Hier sind auch die Vorgesetzten gefragt, die für Sicherheit eine Verantwortung tragen, ihren Beitrag leisten und ihre Vorbildfunktion ausfüllen müssen. Des Weiteren spielt Kommunikation eine essenzielle Rolle. Das, was erarbeitet wurde, muss verkündet und vermittelt werden: auf der einen Seite durch die üblichen Kanäle (E-Mail, Dokumente ...), aber auch begleitet durch Schulungen, Workshops, Tagungen, Übungen und Projekte. Ohne eine zielgerichtete Sensibilisierung und das Schaffen von Awareness ist der Erfolg einer Maßnahme nicht zu gewährleisten.

Ihr Einsatzgebiet erstreckt sich u. a. vom betrieblichen Katastrophenschutz über das Krisenmanagement bis hin zu der Beratung aller Organisationseinheiten. Welche Rolle spielt bei allen diesen Aufgaben Mitarbeitermotivation und Prävention?

Sabine Wiedemann: Motivierte, professionell agierende und engagierte Mitarbeiter sind das höchste Gut, das wir haben. Deshalb liegt einer meiner Schwerpunkte auf der Zufriedenheit meiner Mitarbeiter. Ich bin stolz, ein Team zu führen, das fachlich versiert, einsatzfreudig ist und sich voll und ganz mit Daimler identifiziert. Wertschätzung, Offenheit und gegenseitiges Vertrauen tragen zu einer hohen Motivation bei. Selbstverständlich muss - trotz hoher Belastung - auch immer die Leistung stimmen. Das ist nur in Kombination ein erfolgreiches Rezept. Und die Mitarbeiter der Konzernsicherheit von Daimler sind hierfür ein Beweis! Prävention hat sich mittlerweile zu einer unverzichtbaren Größe entwickelt. Unter Vorbeugung subsumiere ich insbesondere frühzeitige Aufklärung, Information, Sensibilisierung und Aufmerksamkeit. Wir müssen rechtzeitig die Mitarbeiter von Daimler einbeziehen und über Gefahren unterrichten. Das schließt auch Empfehlungen für ein angepasstes Verhalten bzw. einen umsichtigen Umgang mit ein. Die Konzernsicherheit dient hier als Impulsgeber und Multiplikator und trägt auch zu den Konzernwerten Daimlers wie z. B. Integrität und Transparenz bei.

Für die Erreichung Ihrer Schutzziele ist es besonders wichtig, dass Sie qualifiziertes und gut ausgebildetes Personal einsetzen. In welchem Verhältnis setzen Sie für Sicherheitsaufgaben eigenes oder fremdes Personal ein? Welche Bandbreite von Qualifikationen fordern Sie im Sicherheitsbereich, werden Weiterbildungsmaßnahmen angeboten und führen Sie eigene Schulungen durch?

Sabine Wiedemann: Die Sicherheit beim Daimler wird vorrangig von eigenen Mitarbeitern ausgeführt. Wir haben aber auch vertrauensvolle Partner, die eine Kompetenz in bestimmten Leistungsspektren haben und für unser Unternehmen einen Beitrag zur Sicherheit leisten, wie z. B. beim Tor- und Empfangsdienst. Was die Qualifikation meiner Mitarbeiter angeht, so weisen wir die unterschiedlichsten Studienzweige und Berufserfahrungen auf. Gerade dieser „Mix" - die Interdisziplinarität - machen den Erfolg aus. Ob von einer Laufbahn im Sicherheitsbereich, aus der Politikwissenschaft, dem Ingenieurwesen oder Verwendungen in den Daimler-Gesellschaften: Das bündelt unterschiedlichste Erfahrungen, eröffnet neue Horizonte und bietet eine ganzheitliche Betrachtung unsere Aufgaben. Da wir nicht „stehen bleiben" wollen, zählen Qualifizierung und Weiterbildung zu unseren festen Programmen. Durch persönliche wie fachliche Fortbildung tragen wir neuen Entwicklungen in der Sicherheit und aktuellen Themenfeldern Rechnung. Damit wir leistungsstark und professionell bleiben.

Dieses Interview wird von vielen Managern aus den Bereich Unternehmenssicherheit gelesen. Welchen fachlichen Rat können Sie Ihren Kollegen aus Ihrer beruflichen Erfahrung in einer hochsensiblen Branche geben? Haben Sie einen Leitsatz für ihr Handeln?

Sabine Wiedemann: Es liegt mir fern, meinen Kollegen einen fachlichen Rat zu erteilen. Wir haben in der Sicherheitsgemeinde Deutschlands viele hochkarätige Sicherheitsverantwortliche, die eine hervorragende, innovative und beeindruckende Arbeit leisten. Ein vertrauter, konstruktiver und sach­orientierter Austausch wird mehr und mehr die Regel. Gerade das generiert gegenseitig Impulse und Inspiration und verschafft dem Thema Sicherheit in Deutschland Profil und Respekt.

Ich frage nicht, was für ein Fahrzeug Sie fahren, aber welche Hobbys pflegt Sabine Wiedemann, wenn sie nicht für den Konzern tätig ist, wo macht sie am liebsten Urlaub und ob sie private Wünsche hat, würde sehr interessieren.

Sabine Wiedemann: Wenn ich denn mal nicht mit meinem Mercedes begeistert durch Deutschland fahre, dann bleibt auch noch ein wenig Zeit für Dinge, die mir privat am Herzen liegen: gemeinsame Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden zu verbringen - das vielleicht auch noch bei einem guten Tropfen Wein -, Sport zu treiben, zu lesen, zu reisen, und seien Sie versichert: Wünsche habe ich immer ...
Vielen Dank, auch im Namen unserer Leser, für Ihre Zeit sowie für dieses spannende und aufschlussreiche Gespräch.